Das alternative Heimatbuch

Ansprache 27. Januar 2019, gehalten am 27.01.2019

Wir gedenken heute – hier in Marpingen zum 23. Mal - der Millionen Getöteten, die im faschistischen deutschen Rassenwahn ihr Leben lassen mussten. Sie waren unschuldig und wurden ermordet, weil sie Juden waren, weil sie Sinti oder Roma waren, weil sie homosexuell waren, weil sie behindert waren, weil sie Kriegsgefangene oder Zwangsarbeiter waren. Sie galten als Volksschädlinge und minderwertig.

Sie wurden diskriminiert, schikaniert, verleumdet und eingesperrt. Sie wurden ermordet,

  • durch Ausrottung durch Arbeit bis hin zum Tod,
  • durch Verhungern lassen,
  • durch pseudo-medizinische Experimente,
  • durch Folter,
  • durch Erschießen,
  • durch Vergasen,
  • durch Todesmärsche wenige Wochen vor Kriegsende.

Wir erinnern heute auch insbesondere an Alois Kunz, den Widerstandkämpfer und ersten Sozialdemokraten in Marpingen. Er kam nach 3 Jahren KZ Sachsenhausen im August 1942 ins KZ Auschwitz und wurde am 23. Oktober 1942 dort ermordet.

Manche von euch/Ihnen haben sich vielleicht vor 14 Tagen die amerikanische Serie „Holocaust“ wieder angesehen und die Dokumentation dazu über ihre Entstehung. Diese Fernsehserie hat Deutschland damals 1979 verändert. Sie hat u.a. auch wesentlich dazu beigetragen, dass der Bundestag beschloss, dass der Straftatsbestand „Mord“ nicht mehr verjähren kann und somit die Mordtaten aus der Nazizeit weiter juristisch aufgearbeitet werden können.
Sie hat aber auch vielen Deutschen damals die Augen geöffnet, insbesondere den jungen Leuten. Auch mir. War doch diese jüngere deutsche Geschichte bis dahin in den Geschichtsstunden der Schulen schlichtweg meist nicht vorgekommen. Diese Serie damals setzte unser Land kollektiv unter Schock. Unzählige Zuschauerreaktionen an den WDR, sogar ein Bombenanschlag auf eine Sendeanlage. Plötzlich war das Thema virulent, denn so anschaulich war bis dahin der Mord an den europäischen Juden noch nicht in Deutschland massenwirksam dargelegt worden.

Seit der Zeit ist gesellschaftlich mehrheitlich vom Tisch, dass ein „Schlussstrich" unter die Beschäftigung mit den Verbrechen der Nazis gezogen werden sollte.

Nichts desto trotz hört man diesen Einwurf auch heute immer noch und in den letzten Jahren sogar vermehrt. Man hörte in auch im Marpinger Gemeinderat.

Mit dem Auftreten der AFD ist die Verharmlosung und Relativierung der Nazi-Verbrechen nicht nur in die Parlamente eingezogen und wird öffentlich verbreitet, nein manche in der AFD gehen sogar soweit, die menschenverachtenden Ideologien der Nazis als politische Ziele heute zu propagieren.

Einer von diesen AFDlern ist Björn Höcke. Er ist Fraktionsvorsitzender seiner Partei im Landtag in Thüringen und dortiger Spitzenkandidat, also je nach Wahlausgang im Herbst potentieller Ministerpräsident. Er spricht wie andere in seiner Partei von einer von der Bundesregierung betriebenen „Umvolkung“, die nur durch ein "großangelegtes Remigrationsprojekt" rückgängig gemacht werden könne, was aber natürlich „gewaltsamste Verfahren" nötig mache. Da diese Maßnahmen "unseren eigentlichen Moralvorstellungen zu wider laufen" würden, so Höcke weiter, seien "wohltemperierte Grausamkeiten" und "außergewöhnliches Handeln“ erforderlich. (Nachzulesen im jüngsten Verfassungsschutzgutachten)

Das bedeutet zu Ende gedacht, dass die mehr als 20% Menschen unserer Bevölkerung mit Migrationshintergrund aus Deutschland abgeschoben werden sollen.

Oder Alexander Gauland, Parteichef und Fraktionsvorsitzender im Bundestag. Er fabulierte in einem Gastbeitrag in der FAZ über die „globalisierte Klasse“, die die Informationen kontrollierte und deshalb den politischen und kulturellen Takt vorgebe. „Ihre Mitglieder leben fast ausschließlich in Großstädten, sprechen fließend Englisch, und wenn sie zum Jobwechsel von Berlin nach London oder Singapur ziehen, finden sie überall ähnliche Appartements, Häuser, Restaurants, Geschäfte und Privatschulen. Dieses Milieu bleibt sozial unter sich, ist aber kulturell „bunt“." So Gauland.

So ähnlich formulierte Hitler schon in einer Rede 1933 vor Siemensarbeitern:„Es ist ein kleine wurzellose internationale Clique, die die Völker gegeneinander hetzt, die nicht will, daß sie zur Ruhe kommen. Es sind das die Menschen, die überall und nirgends zuhause sind, sondern die heute in Berlin leben, morgen genauso in Brüssel sein können, übermorgen in Paris und dann wieder in Prag oder Wien oder in London, und die sich überall zu Hause fühlen.“ (Zuruf aus dem Publikum: „Juden!“) (Zitat zu finden im Bundesarchiv Koblenz).

Der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz kommentierte dieses Statement von Gauland in der FAZ u.a. mit den Worten: Die politische Karriere Adolf Hitlers begann nicht mit den Menschheitsverbrechen, deren Folgen wir immer noch zu tragen haben. Hitler trat als Populist in die politische Arena, betörte das Volk und sorgte, zur Macht gekommen, dafür, dass alles in Scherben fiel.“

 Was die AFD für eine Partei ist, konnte man diese Woche auch im bayrischen Landtag erleben. Die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde München hatte die AfD bei einem Gedenkakt für die Opfer des Nationalsozialismus als verfassungsfeindlich kritisiert. Charlotte Knobloch wörtlich: „Diese sogenannte Alternative für Deutschland gründet ihre Politik auf Hass und Ausgrenzung und steht nicht nur für mich nicht auf dem Boden unserer demokratischen Verfassung. Es ist unser aller Verantwortung, dass das Unvorstellbare sich nicht wiederholen darf.“ Daraufhin verließ der Großteil der AfD-Fraktion noch während Knoblochs Rede unter Protest den Plenarsaal.

Die Gedenkstätte Buchenwald hält es für geboten, „dass Vertreter der AfD an der Gedenkveranstaltung zum 27. Januar an diesen Orten nicht teilnehmen, solange sie sich nicht glaubhaft von den antidemokratischen, menschenrechtsfeindlichen und geschichtsrevisionistischen Positionen in ihrer Partei distanzieren“, hieß es in einer am Donnerstagabend veröffentlichten Stellungnahme der Stiftung.

Es ist also gut, dass der Verfassungsschutz endlich die Kurve gekriegt hat und die Partei beobachtet.
Teile der AFD werden offiziell zum Extremismus-"Verdachtsfall" erklärt und die Gesamtpartei wird auf den Prüfstand gestellt.

In dem Gutachten wird u.a. festgestellt, dass die brisanteste Gefahr im Rassismus der AfD liege, basierend auf einem entweder "biologisch-rassistischen oder ethnisch-kulturellen Volksbegriff".

Bleibt nur zu hoffen, dass der Verfasungsschutz und die Polizei nicht von Verfassungsfeinden und Rechtsradikalen unterwandert werden und die verantwortlichen Leitungspositionen das offensiv unterbinden.

Im Saarabstimmungskampf 1933/1934 kann man beispielhaft sehen, wie die Unterwanderung ablief. Obwohl z.B. der Hitlergruß verboten war, wurde sein Zeigen nicht von der Polizei geahndet oder die Status-quo Verfechter wurden massiv in ihren Aktivitäten gehindert, wohingegen man die Wahlkämpfer der Deutschen Front voll gewähren ließ. 

Heute erfahren wir z.B., dass aus Polzeikreisen in Frankfurt Drohschreiben an die Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz – sie war Nebenklägerin im NSU-Prozess – geschickt wurden, mit der Unterschrift „NSU 2.0“. Und die Daten in den Drohbriefen kommen aus dem Polizeicomputer. Und obwohl nach einem ersten Brief 5 verdächtige Polizist(innen) vom Dienst suspendiert wurden, kam doch noch ein zweiter Drohbrief mit der Unterschrift „NSU 2.0“. Die Ermittler könnten nichts tun, da die Verdächtigen schwiegen. Und das LKA rät der Anwältin nun, sich zu bewaffnen, um sich zu schützen. 

Hat der Staat sich hier schon aufgegeben?

Deshalb nochmals der Appell von Charlotte Knobloch: Es ist unser aller Verantwortung, dass das Unvorstellbare sich nicht wiederholen darf.“

Zur Erinnerung an die Opfer der Nazi-Verbrechen legen wir nun unseren Kranz nieder.