Ansprache vom 27. Januar 2008, gehalten von Eberhard Wagner
Roman Herzog hat im Januar 1996 den 27. Januar zum Nationalen Gedenktag erhoben. Seit der Zeit begeht unser Verein diesen Tag hier in Marpingen zum 12. Mal. Das würdevolle Gedenken an diesem Tag ist in unserer Satzung festgeschrieben.
Wir erinnern uns und gedenken heute an alle Menschen, die den nationalsozialistischen Verbrechen zum Opfer gefallen sind. An die Juden, an die Sinti und Roma, an die Homosexuellen, an Behinderte, Regimegegner, Widerständler und viele andere Opfer, die in Konzentrationslagern umgebracht wurden, ebenso an die Zwangsarbeiter und Deserteure
Der Tag wurde aber in Deutschland nicht zum Feiertag gemacht. Viele Menschen in unserem Land wissen nichts von diesem Nationalen Gedenktag und merken auch nichts davon.
In Israel steht am Holocaust-Gedenktag, am 27. Nisan des jüdischen Kalenders, 2 Minuten lang das gesamte öffentliche Leben still. Die Sirenen geben das Signal und nichts bewegt sich mehr.
Bei uns nimmt die Öffentlichkeit, nicht zu sprechen von der Bevölkerung, sehr viel weniger diesen Tag war. Unsere Veranstaltung hier in Marpingen ist meines Wissens die einzige im Kreis St. Wendel, die den Tag als „Nationalen Gedenktag“ würdigt. Ich wüßte keine Gemeinde im Kreis, die eine offizielle durch den Gemeinderat oder den Bürgermeister oder Ortsvorsteher organisierte Feier ihren Bürgern anbietet. Ich frage mich an diesem Tag immer wieder, wie es mit unserer Erinnerungs- und Gedenkkultur bestellt ist.
Im Namen Deutschlands wird das bisher größte Menschheitsverbrechen organisiert und durchgeführt, wobei die deutschen Armeen durch Europa gezogen sind und buchstäblich die Juden eingesammelt haben, um sie im Osten zu ermorden. Das Protokoll der Wannsee-Konferenz zeugt davon. Und im Land des Tätervolkes will man dem auch mehr als 60 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz nicht gebührend gedenken. Gerade in diesem Jahr wird das besonders deutlich. Die Fastnachtszeit ist gedrängt auf wenige Wochen und ist am 06. Februar schon wieder vorbei. Da bleibt offensichtlich keine Zeit, um an die Ermordeten des Nazi-Regimes zu denken.
In München gibt es heute, womöglich zur selben Zeit wie wir hier stehen, einen Faschingsumzug, zu dem 30.000 Zuschauer erwartet werden und etwa 1.000 Narren teilnehmen. Der Oberbürgermeister Christian Ude von der SPD hat die Schirmherrschaft übernommen und will seine Teilnahme an dem Zug nicht rückgängig machen. Wörtlich sagte er: „Der Gedenktag am 27. Januar ist kein Feiertag und genießt auch sonst keinen gesetzlichen Schutz“. Er sein „nicht so im Gedächtnis verankert“. Auch die im Stadtparlament vertretenen Fraktionen CSU, SPD, und Grüne/Rosa Liste seien Teilnehmer des Zuges. Der Sprecher der Fastnachtsgesellschaft sagte, dass weder der Stadt noch irgendeiner Behörde oder den Veranstaltern bei der Planung des Umzuges bis Mitte der vergangenen Woche aufgefallen sei, dass der Umzug auf den Nationalen Gedenktag falle. Nun sei er nicht mehr verlegbar. In München. Allerdings wurde ein ebenfalls für heute geplanter Umzug in Regensburg verlegt. In München habe man aber immerhin, so der Sprecher des Karnevalsvereins, die Route des Umzugs geändert, so dass sie nicht am „Platz der Opfer des Nationalsozialismus“ vorbei führte.
Was soll man dazu sagen?
Die Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, fand wohl richtige Worte, indem sie sagte: „Mir ist es unverständlich, dass man einen Gedenktag, den Nichtjuden eingerichtet haben, um sich mit Juden gemeinsam an die furchtbaren Ereignisse des Holocaust zu erinnern, jetzt als Freudentag mit Faschingsumzügen feiern will“.
Unsere Erinnerungskultur hat sich, so scheint es mir, seit den 50er und 60er Jahren noch nicht wesentlich geändert.
Heute gedenken wir auch an Alois Kunz, den Marpinger Widerstandskämpfer. Er bezahlte seine Gegnerschaft zum Hitlerregime mit dem Leben. Am 23. Oktober 1942 wurde er in Auschwitz ermordet. Zuvor war er von September 1939 bis zum 26. August 1942 ununterbrochen im KZ Sachsenhausen inhaftiert.
Ihn nachträglich zu ehren war in Marpingen 1995 mit ziemlich großen Schwierigkeiten verbunden. Manche werden sich noch erinnern.
Am 17. November 1963 wurde von der Gemeinde Marpingen das „Ehrenbuch der Gefallenen und Vermißten von Marpingen“ herausgegeben. Es ist in dem Schrein hier am Kriegerdenkmal hinterlegt. Unter den darin geehrten Gefallenen des 2. Weltkrieges befinden sich 17 NSDAP-Mitglieder. Unter ihnen wiederum der damalige Ortsgruppenleiter, der die Verhaftung von Alois Kunz mit zu verantworten hatte und auch ein Mann namens Reinhold Schmidt. Er steht im Ehrenbuch, wie alle anderen auch, mit seinem militärischen Rang. Er steht dort als Unterscharführer der Waffen-SS, vergleichbar einem Unteroffizier der Wehrmacht. Er war aber kein Soldat, der gefallen ist. Er war seit März 1933 Mitglied der Nazi-Partei, wurde am 01. April 1935 Mitglied der allgemeinen SS und beantragte zum 27. Januar 1941 seine Aufnahme in die Waffen-SS. Als Freiwilliger wurde er am 31. März 1941 zum Dienst im „SS-Totenkopf-Wachsturmbann“ ins KZ Auschwitz versetzt. Er begann dort seinen Dienst zu der Zeit als das Stammlager ausgebaut und das Vernichtungslager Birkenau aufgebaut wurde. Er war in Auschwitz von Anfang an auf seiten der Täter dabei. Er arbeitete dort in der Kommandantur und hatte Einblick in viele Abläufe. Der Marpinger Reinhold Schmidt war zur gleichen Zeit im KZ Auschwitz, in der der Marpinger Alois Kunz dort ermordet wurde. Er gehörte zu den SS-Wachmannschaften und war dort Aufseher. Er steht im Marpinger Ehrenbuch, das auch heute noch seine Gültigkeit hat. Für die Ehrung von Alois Kunz mussten 50 Jahre nach Kriegsende vergehen und dann war sie noch mit großen Widerständen verbunden und bei weitem keine Selbstverständlichkeit.
Das zur Erinnerungskultur damals und heute.
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