Das alternative Heimatbuch

Der Versailler Vertrag vom Juni 1919 bestimmte für das Saargebiet, dass nach Ablauf einer Frist von 15 Jahren beginnend am 10. Januar 1920 die Saarländer(innen) über den Status ihres Gebietes entscheiden sollten. Bis dahin sollte das Saargebiet bei wirtschaftlichem Anschluss an Frankreich unter Verwaltung des Völkerbundes stehen. Vom Völkerbund in Genf wurde der Tag der "Saarabstimmung" auf den 13. Januar 1935 festgelegt. Die drei Wahlmöglichkeiten waren "zu Deutschland", "zu Frankreich" oder der "Status quo", was bedeutete weiterhin unter Völkerbundverwaltung.
Bis Januar 1933 war für alle politische Lager klar, dass es nur eine Möglichkeit gab, nämlich Vereinigung mit dem Deutschen Reich. Nun geschah aber am 30. Januar 1933 mit der Machtübertragung an die faschistischen Nationalsozialisten mit ihrem charismatischen Führer Adolf Hitler etwas, womit kein politisches Lager in diesem Zusammenhang gerechnet hatte. Auf der einen Seite der alles überragende Wunsch der Rückkehr ins geliebte Deutsche Reich und auf der anderen Seite die damit verbundene Zustimmung zum verbrecherischen Terror-Regime unter Hitler.
In den Jahren 1933 und 1934 entwickelte sich nun ein emotionaler Wahlkampf um die Rückkehr des Saargebietes ins Deutsche Reich. Die sogenannten bürgerlichen Parteien vereinigten sich mit der NSDAP in der "DEUTSCHEN FRONT", die für den Anschluss an Deutschland kämpfte, und die linken Parteien, die die "EINHEITSFRONT" bildeten, sowie eine Minderheit des katholischen Lagers traten für den "STATUS QUO" ein. Der Abstimmungskampf wurde mit großer Intensität geführt.
Es sollte sich bald zeigen, dass die Gegner(innen) des Anschlusses an Hitler-Deutschland der propagandistischen und finanziellen Unterstützung aus dem Reich nur wenig entgegen zu setzen hatten. Fast täglich erschienen in den Zeitungen Erfolgsmeldungen, wer schon alles der "Deutschen Front" beigetreten war. Und die Leute wurden namentlich aufgezählt.
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(St.Wendeler Volksblatt vom 30.11.1933, Quelle: Marpingen und der Kreis St. Wendel unter dem Hakenkreuz)

Die "Deutsche Front" unter Führung der Nationalsozialisten warb agressiv für den Anschluss an Hitler-Deutschland und die saarländische Bevölkerung ebenso wie das politische Establishment und die katholische Amtskirche wollten die verbrecherische Entwicklung im Reich nicht wahrnehmen, geschweige denn Konsequenzen ziehen.
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(St.Wendeler Volksblatt vom 7. Mai 1934, Quelle: Marpingen und der Kreis St. Wendel unter dem Hakenkreuz)

Schon mehr als ein halbes Jahr vor dem Abstimmungstag war klar, dass die "Status quo-Bewegung" keine Chance hatte. Im Mai 1934 waren so gut wie alle saarländischen Abstimmungsberechtigte in der "Deutschen Front" organisiert. Diese Geisteshaltung bestätigte sich dann im Abstimmungsergebnis, wo exakt 477.119 Saarländer(innen) für Hitler votierten.

Im Abstimmungskampf ergriff die katholische Amtskirche schon bald nach der Machtübertragung an Hitler Partei für den Anschluss an das nationalsozialistische Deutsche Reich.
Am 28. März 1933, exakt 5 Tage nach Annahme des "Ermächtigungsgesetzes" im deutschen Reichstag und genau 3 Tage vor dem reichsweiten Boykott jüdischer Einrichtungen, der schon viele Tage vorher öffentlich angekündigt worden war, gab die deutsche Bischofskonferenz folgende Erklärung ab:
„Erklärung der Fuldaer Bischofskonferenz. Die Oberhirten der Diözesen Deutschlands haben aus triftigen Gründen in den letzten Jahren gegenüber der nationalsozialistischen Bewegung eine ablehnende Haltung durch Verbote und Warnungen eingenommen. Es ist nunmehr anzuerkennen, daß von dem höchsten Vertreter der Reichsregierung, der zugleich autoritärer Führer jener Bewegung ist, öffentliche und feierliche Erklärungen gegeben sind, durch die der Unverletzlichkeit der katholischen Glaubenslehre und den unveränderlichen Aufgaben und Rechten der Kirche Rechnung getragen wird. Ohne die in unseren früheren Maßnahmen liegende Verurteilng bestimmter religiös-sittlicher Irrtümer aufzuheben, glaubt daher der Episkopat, das Vertrauen hegen zu können, daß die vorbezeichneten allgemeinen Verbote und Warnungen nicht mehr als notwendig betrachtet zu werden brauchen. ...". Zum Schluss der Erklärung wurden die Gläubigen noch zur „Treue gegenüber der rechtmäßigen Obrigkeit und zur gewissenhaften Erfüllung der staatsbürgerlichen Pflichten unter grundsätzlicher Ablehnung allen rechtswidrigen oder umstürzlerischen Verhaltens" ermahnt.
Und am 8. Juni 1933 erließen die deutschen Bischöfe erneut einen Hirtenbrief, der in allen katholischen Kirchen des Saargebiets verlesen wurde und in den Saargebietszeitungen wörtlich veröffentlicht wurde. Dabei sollte man wissen, dass dieser Hirtenbrief verlesen wurde, nachdem am 01. April 1933 der reichsweite Boykott gegen jüdische Einrichtungen und Geschäfte stattgefunden hatte, und dass am 10. Mai 1933 die schändlichen Bücherverbrennungen in den Universitätsstädten veranstaltet worden waren. Ganz zu schweigen davon, dass die Nazis mit Hilfe der "bürgerlichen" Parteien das Ermächtigungsgesetz im Reichstag durchbrachten und dass mit dem sogenannten "Arierparagraph" "Nichtarische" Beamte und "politisch nicht zuverlässige Elemente" aus dem Staatsdienst entfernt wurden.  Wörtlich hieß es im Hirtenbrief u.a.:
„Der gemeinsame Hirtenbrief der Oberhirten der Diözesen Deutschlands an das katholische Volk ... Auch die Ziele, die die neue Staatsautorität für die Freiheit unseres Volkes erstrebt, müssen wir Katholiken begrüßen. Nach Jahren der Unfreiheit unserer Nation und der Mißachtung und schmachvollen Verkürzung unserer völkischen Rechte muß unser deutsches Volk jene Freiheit und jenen Ehrenplatz in der Völkerfamilie wieder erhalten, die ihm auf Grund seiner zahlenmäßigen Größe und seiner kulturellen Veranlagung und Leistung gebühren."
Diese Bejahung der nationalsozialistischen Obrigkeit durch die katholische Amtskirche war auch für die Mehrheit der katholische Saargebietsbevölkerung nunmehr das Zeichen, ihre Resistenz gegen die Nazis aufzugeben. Die Dämme waren gebrochen. Das bestätigten u.a. auch die Ergebnisse der kommunalen Nachwahlen 1933 in Dudweiler, Hilschbach, Nalbach, Ludweiler, Karlsbrunn und Naßweiler, wo die NSDAP immense Zugewinne gegen über der Kommunalwahl im November 1932 zu verzeichnen hatte.

Entwicklung der NSDAP in den Nachwahl-Gemeinden im Vergleich mit den letzten Kommunalwahlen vor der Machtübertragung am 13.11.1932

Wahlen

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Gemeinden

13.11.1932

Feb., Mai, Juli 1933

absolute Zahlen

 

%

absolute Zahlen

 

%

 

Dudweiler (19.02.33)

 

780

 

6,7

 

1.661

 

13,2

 

Hilschbach (14.05.33)

 

-

 

-

 

48

 

11,9

 

Nalbach (28.05.33)

 

83

 

6,4

 

602

 

46,4

 

Ludweiler (02.07.33)

 

50

 

2,5

 

791

 

32,1

 

Karlsbrunn (02.07.33)

 

-

 

-

 

111

 

47,6

 

Naßweiler (02.07.33)

 

-

 

-

 

124

 

29,1

 

Summe

 

913

 

 

3.237

 

 

 

Saargeb. insg.

 

23.190

 

6,6

 

-

 

-

 

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