Das alternative Heimatbuch

Kaufhaus S. Daniel

Das Kaufhaus S. Daniel wurde 1860 von Samuel Daniel gegründet, hatte in Lebach und Türkismühle Filialen und war das größte Geschäft seiner Art im Kreis St. Wendel. Seinen Standort hatte es in der Luisenstraße, dort, wo heute die Dom-Galerie steht. Eine halbseitige Anzeige im „St. Wendeler Volksblatt" von Freitag, dem 01. Juli 1932, verdeutlicht, welche Bedeutung und welches Ansehen das Haus hatte. In der Anzeige hieß es: „600 Jahre St. Wendel – 72 Jahre Daniel. Das Haus Daniel ist aus dem Stadtbilde St. Wendels nicht mehr weg zu denken, weil es sich in 72-jähriger Aufbauarbeit als Kauf- und Sparstätte einen sicheren Platz erobert hat. Seine Leistungsfähigkeit hat ihm im Herzen der Einwohnerschaft ein Denkmal gesetzt!" (St. Wendel feierte vom 26.06.1932 bis zum 10.07.1932 sein 600-jähriges Bestehen.) Das im Herzen der St. Wendeler Einwohnerschaft vermutete „Denkmal" hatte allerdings keine Standfestigkeit, denn drei Jahre später verschwand das Kaufhaus Daniel aus dem Stadtbild.

Kaufhaus Daniel

Eigentümer des Geschäftes - das Unternehmen hatte die Rechtsform einer OHG - waren bis zum 17. Januar 1935 Milian Daniel, ein Sohn des Gründers Samuel, und Hermann Bonem, Ehemann von Delfine Daniel, einer Tochter des Gründers. Die zweite Tochter, Emma Daniel, heiratete 1902 Julius Stern aus Lebach und gründete mit ihm zusammen die Zweigniederlassung des Kaufhauses S. Daniel in Lebach. Am 17. Januar, also direkt nach der Abstimmung, schied Hermann Bonem aus der Firma aus. Er hatte schon vor den anderen Familienmitgliedern beschlossen, seine Heimat so schnell wie möglich in Richtung Palästina zu verlassen. Als neue persönlich haftende Gesellschafterin trat Edith Daniel, die Tochter von Milian, ein. Dem Kaufmann Martin Eppstein aus Frankfurt wurde am selben Tage Prokura erteilt. Dieser hatte sich im Dezember 1934 mit Edith Daniel verlobt - diese Verlobung war in einer Anzeige am Dienstag, dem 11. Dezember 1934, in der „St. Wendeler Zeitung" bekannt gemacht worden.

In beiden St. Wendeler Zeitungen waren bis zum Abstimmungstag fast täglich Anzeigen des Kaufhauses Daniel, in denen für Sonderangebote oder sonstige Aktivitäten der Firma geworben wurde, erschienen. Nach dem Abstimmungstag stellte das Kaufhaus seine Werbung in den Lokalzeitungen nach und nach ein, da man sich offensichtlich schon zum Verkauf des Geschäftes entschlossen hatte, der dann im Herbst 1935 über die Bühne ging. Bis dahin musste man aber noch allerlei Hetze über sich ergehen lassen. Aus einer Aktennotiz der Ortspolizeibehörde St. Wendel ging z.B. hervor, dass am 11.04.1935 anlässlich des Palmmarktes der Arbeiter Max Simon, St. Wendel, ein Schild mit der Aufschrift „Kauft nicht bei Juden" durch die Stadt trug. Der Landjäger Sinnwell schritt ein und beendete den Boykottaufruf. Die Firma S. Daniel beschwerte sich schriftlich durch ihren Betriebsobmann Adalbert Leist beim Treuhänder der Arbeit für das Wirtschaftsgebiet Saarland-Pfalz, der sich aber nicht für zuständig erklärte, und beim Landrat. In dem Schreiben wurde auch vorgebracht, dass die Kundschaft heimlich fotografiert würde.

Die Eigentümer des Kaufhauses Daniel hatten also schon unmittelbar nach dem für jüdische Saarländer verhängnisvollen Ausgang der Saarabstimmung beschlossen, Deutschland zu verlassen. Sie hatten ein Jahr Zeit, ihren Besitz zu verkaufen. Ein Käufer fand sich schnell. Es war, wie in der Kreisstadt allgemein bekannt, der Lebensmittelhändler Anton Stier, der zusammen mit seinem Bruder Josef in St. Wendel mit zwei Geschäften die Firma „Kolonialwaren und Delikatessen" betrieb, ein Laden in der Bahnhofstraße und einer vor dem Dom. Im Februar 1935 warb der Betrieb in einer Anzeige im „St. Wendeler Volksblatt" damit bei seinen Käufern um Vertrauen, dass das Lebensmittelkaufhaus mit „der neuen Zeit" marschiere.
Im November 1935 waren die Verkaufsverhandlungen abgeschlossen und Verkäufer und Käufer trafen sich am 07.11.1935 in St. Wendel bei Notar Maximilian Nikolaus Jochem. Milian Daniel hatte ebenso wie Hermann Bonem St. Wendel schon Richtung Jerusalem verlassen, so dass für sie als Vertreter der Rechtsanwalt Dr. Fritz Oettinger aus Regensburg und Martin Eppstein fungierten. Im notariellen Schriftstück mit der Registrier-Nr. 1.460 für 1935 wurde folgendes vereinbart:

Verkäufer: Dr. Fritz Oettinger, Regensburg, und Martin Eppstein, St. Wendel, als Bevollmächtigte von Kaufmann Milian Daniel und der Eheleute Hermann Bonem und Delfine, geb. Daniel, alle Jerusalem, sowie Mitteilhaberin Edith Eppstein, geb. Daniel, Ehefrau von Martin Eppstein, St. Wendel.
Käufer: Anton Stier, Kaufmann, St. Wendel.
Kaufgegenstand: Grundbuch St. Wendel, Blatt 284 und 1145, Flur 6, folgende Grundstücke:

  • Luisenstraße 2a, Wohnhaus mit Nebengebäude, Hofraum, 1,09 Ar,
  • Luisenstraße 4, Waschküche, 0,58 Ar,
  • Luisenstraße 4, Wohnhaus und Kaufhaus, 4,86 Ar,
  • Luisenstraße 4, Hofraum, Anbau, 4,86 Ar,
  • Hospitalstraße 6a, Wohnhaus mit Hofraum, 0,62 Ar,


Kaufpreis: 70.000,00 Goldmark, der sofort nach der devisenrechtlichen Genehmigung zahlbar war. Von der devisenrechtlichen Genehmigung war die Rechtswirksamkeit der notariellen Urkunde abhängig. Für 1 Goldmark waren mindestens 1 Reichsmark zu zahlen. ( Hinzugefügt wurde, dass 1 Goldmark den Wert von 1/2790 kg Feingold hatte.)

Unter der darauffolgenden Registrier-Nr. 1.461 für 1935 beantragten dann die Vetreter der Firma Daniel die Löschung der auf das Unternehmen eingetragenen Grundschuld. Im Text hieß es u.a.:

„Die Fa. Daniel, vertreten durch Teilhaberin Edith Eppstein, geb. Daniel, Ehefrau von Martin Eppstein, sowie Martin Eppstein Kaufmann St. Wendel und Rechtsanwalt Fritz Oettinger aus Regensburg als Bevollmächtigte des anderen Teilhabers Milian Daniel, Kaufmann Jerusalem, beantragen die Löschung der auf die Fa. Daniel OHG eingetragene Grundschuld überall, wo sie im Grundbuch eingetragen ist." Die Höhe der Grundschuld betrug 800.000 mal 0,05895 Gramm Feingold.

Und noch am selben Tag stellte Anton Stier den Antrag, „auf den gemäß Kaufvertrag vor dem beurkundenden Notar vom heutigen Tage erworbenen Grundbesitz der Gemeinde Sanct Wendel ...", angegeben waren die neu erworbenen Grundstücke und Gebäude der Firma Daniel, „... für die Kommanditgesellschaft Gebr. Röchling, Bank Saarbrücken, eine Buchgrundschuld von 200000,-, in Worten: zweihunderttausend Goldmark, mindestens jedoch 200000,00 Reichsmark nebst sechseinhalb vom Hundert Zinsen jährlich von heute ab einzutragen."

Das bekannte Kaufhaus Daniel hatte damit den Eigentümer gewechselt und existierte hinfort nicht mehr. Der Verkaufspreis betrug 70.000,00 Reichsmark und der neue Eigentümer hatte sofort auf seine Errungenschaft eine Grundschuld von 200.000,00 Reichsmark eintragen lassen.

Man muss sich nun fragen, ob der erzielte Verkaufspreis ein angemessener war oder nicht. Nur wie soll man aus heutiger Sicht herausfinden, was das Kaufhaus Daniel damals tatsächlich wert war? Zu einem sicheren Ergebnis wird man zweifellos nicht mehr kommen. Man kann aber an Hand von Vergleichen in etwa versuchen, eine einigermaßen zufriedenstellende Antwort auf die gestellte Frage zu errechnen.

Aus den Notariatsakten geht hervor, dass insgesamt 12,01 Ar an Fläche verkauft wurden. Der Gesamtpreis beinhaltete drei Wohnhäuser, dabei eines mit Kaufhaus und eines mit Nebengebäude, eine Waschküche und einen Hofraum, alles in allerbester Lage der Kreisstadt. Dies entsprach einem Quadratmeterpreis von 58,28 Reichsmark. Für beste Zentrumslage lässt das auch aus heutiger Sicht vermuten, dass der Preis nicht besonders hoch gewesen ist. Die Bebauung in der Luisenstraße war damals in der Regel dreigeschossig, oft noch mit Dachausbau (siehe Foto der Luisenstraße von 1936, in der Mitte vor der Basilika, leicht verdeckt, das ehemalige Kaufhaus Daniel).

Luisenstraße 1936 Meist befanden sich im Erdgeschoss Verkaufsgeschäfte und in den darüber liegenden Etagen Wohnungen. Die Gebäude dort waren also mit Sicherheit beste Kapitalanlagen.

Welche Quadratmeterpreise 1935 im Durchschnitt für Innenstadtlagen gezahlt wurden, ist nicht bekannt. Allerdings wurden in der Brühlstraße, unweit der Luisenstraße, am Rande des Stadtzentrums um den Dom, schon 1916 mehr als doppelt soviel pro Quadratmeter gezahlt als beim Verkauf des Kaufhauses Daniel. In den 19 Jahren bis 1935 sind die Grundstückspreise im Zentrum von St. Wendel sicherlich nicht gesunken. Es ist also festzuhalten, dass der Kaufpreis von 58,28 Reichsmark pro Quadratmeter ein ziemlich günstiger für den Käufer gewesen ist.

Ein Weiteres, was darauf hin deutet, dass der Kauf für den Kaufman Stier ein „Schnäppchen" war, ist die Tatsache, dass im notariellen Vertrag nirgends die Rede vom Warenbestand und dem Inventar des Unternehmens war, ganz zu schweigen vom Kundenstamm und vom immateriellen Firmenwert. Man kann also davon ausgehen, dass im Preis von 70.000,00 Reichsmark die noch im Kaufhaus vorhandenen Waren und alles Inventar enthalten waren. Mit Fug und Recht kann deshalb behauptet werden, dass Anton Stier im November 1935 ziemlich billig zu einem großen, gut eingeführten Kaufhaus kam.

Einen Hinweis auf den tatsächlichen Wert der Grundstücke und Gebäude der Firma Daniel liefert die Höhe der eingetragenen Grundschuld. Sie betrug laut notariellem Löschungsantrag 800.000 mal 0,05895 Gramm Feingold. Legt man zu Grunde, dass, wie in den Verträgen angegeben, 1 Gramm Feingold mit 2,79 Reichsmark angesetzt wurde, so errechnet sich die Höhe der auf die Firma Daniel eingetragenen Grundschuld mit exakt 131.576,40 Reichsmark. Nimmt man weiterhin an, dass die Banken damals wie heute in der Regel eine Immobilie höchstens mit zwei Drittel ihres Wertes beleihen, so kommt man zu dem Ergebnis, dass der wahre Wert der Objekte zum Zeitpunkt des Eintrags der Grundschuld zu Lasten der Firma Daniel etwa 200.000,00 Reichsmark betragen haben musste. Der Käufer Anton Stier ließ noch am Kauftag eine eigene Grundschuld von 200.000,00 Reichsmark zu Gunsten der Gebr. Röchling Bank eintragen. Wiederum angenommen, dass die Beleihungsgrenze zwei Drittel des angenommenen Wertes war, errechnet sich als tatsächlicher Wert der gekauften Objekte für November 1935 etwa 300.000,00 Reichsmark. Im Klartext bedeutet das, dass der St. Wendeler Kaufmann Anton Stier, das Kaufhaus Daniel, das einen geschätzten Wert von 300.000,00 Reichsmark hatte, für 70.000,00 Reichsmark erwarb, für weniger als ein Viertel seines tatsächlichen Wertes also.

Die notarielle Vertragsunterzeichnung fand am Donnerstag, dem 07. November 1935, statt. Und schon einen Tag später wurden in den beiden St. Wendeler Zeitungen auf der letzten Seite, der Anzeigenseite, über die gesamte Breite der Seite, unübersehbar, jeweils eine Riesen-Annonce veröffentlicht, in der es hieß: „S. Daniel, St. Wendel, wechselt seinen Besitzer! Neueröffnung Montag, den 11. November 1935, morgens 9 Uhr."
Und auch am nächsten Tag, Samstag, dem 09.11.1935, erschien wiederum in beiden Zeitungen die hier abgebildete, über die gesamte obere Hälfte der Anzeigeseite reichende Annonce:

Anzeige Stier
Einen Tag nach der Eröffnung des neuen Kaufhauses Anton Stier berichtete die St. Wendeler Zeitung unter der Schlagzeile „Kaufhaus Anton Stier vorm. S. Daniel" über das „Event" vom Montag, dem 11. November 1935:
„Am Montag vormittag konnte das größte Kaufhaus des Kreises, das Kaufhaus Anton Stier, vorm. S. Daniel, unter seinem neuen Besitzer eröffnet werden. Die Eröffnungsfeier stand ganz im Zeichen des nationalsozialistischen Deutschlands. Die Hakenkreuzfahne grüßte Gefolgschaft, Vertreter der Partei und die Gäste. Im festlich geschmückten Verkaufsraum, in der Mitte das Bild des Führers im Blumenschmuck, begrüßte Kaufmann Anton Stier als Betriebsführer die Erschienenen, insbesondere Kreiswalter Woll, den Vertreter der Kreisleitung der NSDAP, Pg. Leibenguth, Kaufmann Pfeiffer von der Abteilung Handel. Der Arbeitsfront dankte er zunächst für ihre Mitarbeit bei der Überleitung der Firma und gab das Versprechen, mit seiner Gefolgschaft stets treu in der Deutschen Arbeitsfront zu stehen. Es werde sein Bestreben sein, die Firma nach nationalsozialistischen Grundsätzen zu leiten. Er betrachte es daher als seine Pflicht, angesichts der noch verringerten Kaufkraft gerade der Arbeiterschaft für ihr Geld nur das Beste als Gegenleistung zu bieten. So wolle er dem Kunden dienen und damit dem deutschen Volke. An die Gefolgschaft wandte sich Kreiswalter Woll mit dem Appell, als Betreibsgemeinschaft in einheitlichem Streben und Wollen zusammenzustehen in Freud und Leid. An ihr solle es liegen, das größte Kaufhaus im Kreis wieder so auf die Höhe zu bringen wie einst. Die Arbeitsfront sei bemüht gewesen, den Angestellten Arbeitsstätte und Brot zu erhalten, und es bestände die Hoffnung, auch die Ausgeschiedenen wieder in die Betriebsgemeinschaft einzugliedern. Der Betriebsführer solle seiner Gefolgschaft ein wahrer Betriebsführer sein, ein Vater. Es gäbe wohl Paragraphen, nach denen man führen könne, aber in einem Betriebe, wo diese Paragraphen allein Richtschnur seien, könne sich wahre Gemeinschaft nicht entwickeln. Es müsse das Verständnis und die Liebe dazu kommen. Gleicherweise müßten auch die Gefolgschaftsmitglieder in gleichem Sinne ihre Arbeit verrichten. Dann werde die so gestaltete Betriebsgemeinschaft eine wirkliche Gemeinschaft, aus der die Volksgemeinschaft herauswachse, denn wir seien verpflichtet zu dieser Volksgemeinschaft, so viel wir können und was an uns liegt, beizutragen! Die Gefolgschaft sei verpflichtet, dem Betriebsführer die Treue, die deutsche Treue zu halten! Der Betriebsführer aber nehme die Pflicht auf sich, für das soziale Wohl der Gefolgschaft zu sorgen! Kaufmann Anton Stier nahm dankend die guten Wünsche entgegen und versprach, mit seiner Gefolgschaft in einer wirklichen und vorbildlichen Betriebsgemeinschaft zu stehen. Siegheil auf Volk und Führer war der Ausklang der Eröffnungsfeier."

Abgeschlossen wurde die „Arisierung" des jüdischen Kaufhauses Daniel in St. Wendel dadurch, dass die Leserinnen und Leser der „St. Wendeler Zeitung" eine Woche nach der Neu-Eröffnung auf der Anzeigenseite lesen konnten: „Auszug aus dem Handelsregister: In dem hiesigen Handelsregister A Nr. 6 wurde heute unter der Firma S. Daniel folgendes eingetragen: Die Firma lautet jetzt: Anton Stier, St. Wendel. Persönlich haftender Gesellschafter: Anton Stier, Kaufmann St. Wendel. Das Geschäft ist mit allen Rechten und Verbindlichkeiten auf Anton Stier übergegangen. Die Gesellschaft ist aufgelöst. St. Wendel, den 14. November 1935. Das Amtsgericht."

Literaturhinweis:

  • Wagner, Eberhard, "Marpingen und der Kreis St. Wendel unter dem Hakenkreuz", St. Ingbert 2008