- Marpinger Schulchronik
Welche Lehrer oder welche Lehrerinen die Schulchronik geführt haben, kann nicht ganz genau nachvollzogen werden, aber wahrscheinlich wurde sie von der jeweiligen Schulleitung geschrieben. Dies war vom 01.08.1933 bis zu seinem Tode im Oktober 1940 Rektor Johann Becker, danach vom 01. Juli 1941 bis zum 01.08.1969 Rektor Heinrich Ody, zwischenzeitlich auch deren Vetreterinnen Frl. Margarete Welter und Lehrerin Anna Urhahn. Sie wurde aber immer relativ zeitnah während des Schuljahres verfasst, so dass man den Zeitgeist, der herrschte, in der Wortwahl und den Formulierungen gut erkennen kann.
Die Schulchronik war in zwei Abteilungen gegliedert, einmal wurde unter der Überschrift „Aus dem Leben der Schule“ über schulische Ereignisse und Belange berichtet und zum Andern unter der Überschrift „Aus dem Dorfleben“ über das Geschehen im Ort. Auffallend ist, dass in den Berichten, auch zwischen den Zeilen, nicht der Hauch der Kritik am Regime stattfand. Im Gegenteil, der „Führer“ und seine Partei und ihr Treiben wurden in allen Belangen gutgeheißen. Auch gegen Ende der Nazi-Herrschaft ließen sich die Verfasser der Schulchronik keinen Unmut über die Führung anmerken, geschweige denn dass Bedauern über das Schicksal von Juden, von Zwangsarbeitern oder von Regimegegnern geäußert wurde.
Im Folgenden wörtliche Auszüge aus der Schulchronik Marpingen, Kapitel „Aus dem Dorfleben“:
„Als bei Kriegsbeginn am 1. September gegen 6 Uhr morgens der Ortsbürgermeister seine Einsatzbereitschaft nach einer kurzen wichtigen Besprechung in seinem Hause entlassen hatte, begannen an verschiedenen Stellen des Ortes die Vorbereitungen zur Versorgung der gemeldeten Rückgeführten aus dem geräumten Gebiet. Nachmittags gegen 13 Uhr trafen die ersten Rückgeführten aus der 1. Und 2. Zone hier ein. (Weiteres ist in dem Kapitel Schulleben berichtet.) ... In der Nacht vom 27. zum 28.9.39 rückten fortgesetzt Truppen durch den Ort an die Westfront. Im September überflogen verschiedenemal am Tage feindliche Aufklärungsflugzeuge den Ort, an einem Vormittag 6. Sie wurden von der Flak aus Orten der Umgebung, so von Neunkirchen, beschossen, es wurde aber kein Abschuß erzielt. Im Monat Okt. 39 hatte Marpingen den Toden seiner ersten gefallenen Helden zu beklagen. Es war Heinrich Müller, Sohn des Bergmanns Eduard Müller, Hermann Göringstraße 35, ..., der im Alter von 23 Jahren für sein Vaterland den Heldentod starb. Er fiel am 8.10.39 im Vorfelde des Westwalls in der Nähe der Heilstätte Sonnenberg bei Saarbrücken durch 5 Schüsse mit der Revolver-Pistole französischer Soldaten. Am 11.10.39 wurde er unter Beteiligung sämtlicher hier untergebrachten Truppenteile und der hiesigen politischen Formationen auf dem ‚Ehrenfriedhof‘ beigesetzt. Pastor Biegel hielt eine ergreifende Grabrede.“ ...
„Von Oktober 1939 bis 9. Mai 1940 waren u.a. folgende Truppenteile in Marpingen einquartiert. Die genaue Bezeichnung ist nicht von allen bekannt, weil dies geheim gehalten wurde. Sie ist darum auch nur z. Teil angegeben. Von Anfang Okt. 1939 bis 30 Januar 1940 war hier eine schwere Eisenbahn-Artillerie-Abteilung. Sie war in der Horst-Wessel-Straße untergebracht und hatte ihr Geschäftszimmer bei Recktenwald Julius (Dorfkasse) (dieser war Gründungsmitglied der NSDAP, Anm. des Verf.) und zuletzt bei R. König, Horst-Wessel-Str. ...“
Weiterhin wurde noch über andere Einquartierungen von Militäreinheiten in Marpingen berichtet, in welchen Straßen und welchen Häusern welche Einheiten einquartiert waren. Die Marpinger Bevölkerung hätte die Soldaten freundschaftlich und opferbereit aufgenommen und behandelt. Es sei den Soldaten schwer gefallen, Marpingen verlassen zu müssen.
Hier endet der Bericht in der Schulchronik, Abteilung „Aus dem Dorfleben“, über Marpingen im Krieg - in der Folge wurden in der Chronik alle Gefallenen und Vermissten aufgeführt - und beginnt wieder mit dem 25. Januar 1946.
Im Kapitel „Aus dem Leben der Schule“ wurde einiges mehr über die Kriegszeiten eingetragen. Nachfolgend einige Auszüge:
„Beschlagnahme der Schulhäuser im Kriege. Schulunterricht im Kriege.
Am 30.8.(1939) morgens 6 Uhr erschien der Ortsbürgermeister mit einigen Arbeitern und ließ in beiden Schulhäusern die Säle ausräumen. Die Bänke wurden auf die Schulhöfe gestellt und das übrige Inventar in den Schulkeller gebracht. Die Schulen waren für Lazarettkranke vorgesehen, die aus den Lazaretten des Westens des Saarlandes gebracht und hier untergebracht werden sollten. Die Säle wurden von Frauen und Mädchen des Ortes gründlich gereinigt und desinfiziert. Aber die Kranken kamen nicht. Am 1. September wurde dem Ortsbürgermeister von der Behörde gemeldet, dass die 1. und 2. Zone geräumt werde und die Bürger aus verschiedenen Orten dieser Zonen im Laufe des Tages hier eintreffen würden. Der Ortsbürgermeister bestimmte eine Menge von Männern und Frauen, die auf den Schulhöfen und an anderen Stellen Kessel aufstellen, Holz herbeischaffen und Feuer anlegen mussten, um für diese Rückgeführten Kaffee und Essen zu kochen. Im Keller des neuen Schulhauses waren Lebensmittelvorräte aufbewahrt, die bereits einige Monate vorher dort untergebracht worden waren. Der NSV lag die Verpflegung ob. Um 13 Uhr des genannten Tages kamen die ersten Wagen mit den Leuten aus dem geräumten Gebiet an. Sie wurden in den beiden Schulhäusern untergebracht. Bald folgten andere Fuhrwerke, Omnibusse, Lastwagen und Autos mit Rückwanderern. Nachdem die beiden Schulhäuser und die Berufsschule belegt waren, wurden die Leute in den Privathäusern untergebracht. Sämtliche Häuser waren überfüllt, kein Fleckchen blieb unbelegt. An diesem Tage waren 17.000 Rückgeführte in Marpingen untergebracht. An den 3 folgenden Tagen kamen weitere Rückgeführte, zuerst die mit ihrem Gefährt, dann die mit Fahrrädern und zuletzt die zu Fuß. Die meisten rasteten in den Schulhäusern und wurden von dem ‚Bayerischen Hilfszug’ gespeist.
Am 10.9.39 kam das erste Mlitär. Der Stab und ein Zug der M.G. 13 (Saarlautern) belegte das neue Schulhaus in der Zeit vom 10.9. bis 22.9.39. Am 12.9.39 bezog eine Flak-Abteilung das ganze alte Schulhaus und verblieb darin bis 28.10.39. So konnte dann am 2. November 1939 der Schulunterricht wieder aufgenommen werden. Es wurde Wechselunterricht eingerichtet, 4 Stunden vormittags und 4 Stunden nachmittags. Das neue Schulhaus wurde am 6.10.1939 vom Feldlazarett 173 (Feldpostnummer 10.601) bezogen und als Feldlazarett für Kranke mit Erkrankungen leichterer Art eingerichtet. Fünf Säle waren mit je 10 Betten belegt. Der 1. Saal rechts (Saal 4) wurde geteilt, der 1. Raum war Aufnahmezimmer, der 2. Kanzlei. Ungefähr 3 bis 4 Wochen waren Kranke untergebracht, deren Höchstzahl 15 bis 16 erreichte. Im November wurde das Lazarett aufgelöst. Die Einrichtungen kamen in das Feldlazarett nach St. Wendel. Die noch zurückbehaltenen Betten, ca. 20, wurden in den beiden Sälen im Erdgeschoss links aufgestellt. Diese beiden Säle waren Unterkunfts- bzw. Revierkrankenstube für das Feldlazarett. Ab 13.12.39 wurde der Saal 3 (2. Saal unten rechts) in Schulbetrieb genommen, ab 20.1. der Saal 6 oben. Der Saal 4 oben wurde von der Sanitätskompagnie 173 übernommen und diente als Kammer. Diese Komp. hatte im alten Schulhaus die Schulküche (2 Räume) inne und auf dem Schulhof der alten Schule die Feldküche aufgestellt. Diese Belegschaft und Einrichtungen der beiden Schulhäuser verblieben so bis zum 10. Mai (1940). In der Nacht vom 9. Zum 10. Mai 1940 rückten sämtliche Truppen aus Marpingen ab zum Einsatz gegen Holland, Belgien und Frankreich.“
November 1944:
„Da durch dauernden Alarm die Unterrichtsarbeit oft gestört wird, muss sich der Unterricht auf die wenigen Hauptfächer Lesen, Rechnen, Schreiben beschränken. Schließung der Schule am 1.12.44:
Am 1.12.44 wurden die beiden Säle des alten Schulhauses und die 6 Säle des neuen Schulhauses wieder durch die Wehrmacht beschlagnahmt. Der Unterricht fiel bis zum Schluss der Weihnachtsferien (18.12.44 - 15.1.45) aus. Ein Versuch, einen Unterrichtsraum im Schwesternhaus zu erhalten, schlug auch fehl, da die Wehrmacht eine Revierstube dort einrichtete.“
„Fliegerangriff in Marpingen, 14.12.1944:
Am 14.12.44 erlebte Marpingen seinen ersten größeren Fliegerangriff. Kaum ein Haus ist da, das nicht Schaden aufweist. Schwer mitgenommen wurden die Häuser Dörrenbächer und Piro am Umweg und Staub und Barbian in der Talstraße. Auch in der Herm. Lönsstraße und Herm. Göring-Straße waren einzelne Häuser schwer getroffen. Die übrigen kamen mit Glas- und Dachschaden davon. Unsere Schulhäuser hatten insgesamt 79 Scheiben zersplittert. Luftminen hatten die Zerstörung vollbracht. Zum Glück waren mit ganz wenigen Ausnahmen, (leichte Splitterverletzungen) keine Verwundete und keine Toten zu beklagen. Wenn die einsetzenden Transportschwierigkeiten nicht das Anfahren von Ziegeln und Glas sehr erschwert hätten, wären die Schäden schon längst behoben. So mußte gehandelt werden nach dem alten Spruchsatz: ‚Hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott.‘ Mit behelfsmäßigem Material wurden die Fenster ersetzt. 2 Säle des neuen Schulhauses, das am 10.1.45 wieder frei wurde, wurden notdürftig hergerichtet. Die Fenster wurden mit Pappe zugeschlagen. Leider konnten noch keine Schulkohlen angefahren werden, da keine Transportmittel zur Verfügung stehen. ...
Beschlagnahme sämtlicher Schulräume:
Ab 1.3.45 wurden sämtliche Schulräume von der Wehrmacht mit Beschlag belegt. So mussten für die Klassen Ausweichräume gefunden werden. Der Kindergartensaal wird von 2 Klassen im Wechsel benutzt. Die übrigen Klassen werden im Kinosaal an je 1 bzw. an 2 Vormittagen, wenn keine Luftgefahr besteht, unterrichtet. Frau Kirsch, die Kinobesitzerin, hat in liebenswürdiger Weise, ... der Schule den Saal zu Unterrichtszwecken zur Verfügung gestellt. ...
Unsere Schule H.V.P. (Hauptverbandsplatz):
In der Nacht vom 16. auf den 17.3.45 wurde das gesamte Schulinventar des neuen Schulhauses auf den Schulhof gestellt und das Haus zum Hauptverbandsplatz eingerichtet, dessen äußeres Zeichen das große rote Kreuz auf dem Schuldach wurde. Die ersten Verwundeten trafen am 17.3.45 nachmittags um ½ 6 Uhr ein.
Die Front rückt näher:
Der folgende Sonntag, der 18.3.45, stand ganz im Zeichen des Rückzuges der Front und der Auflösung. Vom frühen Morgen an zogen die rückflutenden Kolonnen unserer Wehrmacht durch den Ort, den Exelberg hinauf, als der einzigen Straße, die noch frei war. Der H.V.P. (Hauptverbandsplatz) war bereits bis Sonntag mittag wieder auf Wagen verstaut, zur Abfahrt bereit.
Ariebeschuß am 18. u. 19.3.45:
Kaum waren die letzten Abteilungen im Urexweilerwald verschwunden, als auch schon der Ariebeschuß einsetzte. Die ersten Schüsse lagen in ‚Brell‘ hinter der untersten Mühle (Warschburger). Auf der Härtel wurden verschiedene Häuser schwer beschädigt. Der Ariebeschuß währte die ganze Nacht durch bis zum frühen Morgen. Die Schüsse gingen über den Ort größtenteils weg in den Wald oder in Wiesenland. Die Bevölkerung verbrachte die Nacht in Kellern und Stollen. Dass der Beschuss auch gegen Morgen noch heftig war, geht aus dem Umstand hervor, daß die hl. Messe an dem Josefstag (19.3.45) nicht in der Pfarrkirche gehalten werden konnte, sondern im Keller des Pfarrhauses.
Amerikanische Besatzung:
Am 19.3.45, einem Montag, traf gegen ½ 10 die amerikanische Besatzung hier ein. Damit hörte jegliche unterrichtliche Tätigkeit an der Volks- und Hauptschule hier auf. Das neue Schulhaus wurde von der am. Besatzung beschlagnahmt. Bis 11.30 musste es von den Spuren der Räumung der Lebensmittellager geräumt sein. Auch drei Häuser in der Nachbarschaft der Schule (Schmidt, Groß, Kunz) mußten zur Verfügung gestellt werden. In den folgenden Tagen war das Schulhaus Asyl für Polen, Ukrainer und Italiener. Als wir gegen Ende der Woche wieder ins Haus konnten, bot sich den Augen ein Durcheinander schlimmster Art. Im Lehrerzimmer vor allem sah es schlimm aus. Die Schränke waren erbrochen und der Inhalt herausgerissen. Die Violinen entweder entzwei oder verschwunden.
Der von der Besatzungsbehörde neu ernannte Ortsbürgermeister Neis brachte der Schule volles Verständnis entgegen und beorderte die Gemeindearbeiter, die das auf dem Schulhof stehende Inventar in die Säle schafften, so daß allmählich wieder Ordnung wurde.
Um die Kinder von der Straße zu halten, richtete Herr Pfarrer Biegel Seelsorgeunterricht ein, den die am Ort anwesenden Lehrpersonen (Ruffing, Kunz, Urhahn) unterstützten. In Kirche und Waldkapelle wurde unterrichtet. Nachdem von dem Militärkommandanten der Unterricht in Bibel u. Katechismus und das Lesen im religiösen Schriftgut erlaubt worden war, wurde der Unterricht im neuen Schulhaus in 4 Sälen gegeben. H. Pastor Biegel und Schwester Praxedis (evakuierte Seelsorge-Josefsschwester v. Saarbrücken) halten den Katechismusunterricht. Frl. Kunz, Ruffing, Urhahn, den Bibelunterricht auf allen Stufen. Im Rahmen des Erlaubten versuchen wir eine erziehliche Betreuung der Jugend durchzuführen.
Neuer Bürgermeister:
Ortsbürgermeister Neis wurde durch Herrn Recktenwald abgelöst.“
(Die folgende Seite ist aus der Schulchronik herausgerissen.)
Weiter geht es folgendermaßen:
„Französische Besatzung 1945:
Am 6.7.45 zog die französische Miltärkommission in die Schule ein. Die Dienstwohnung des Rektor wurde geräumt und eine Wohnung im Ort (Haus Kannengießer)“... ( - Dieser Satz ist in anderer Schrift auf der folgenden Seite am oberern Rand hinzugefügt worden, so dass es nahtlos nach der herausgerissenen Seite weitergehen sollte -) „gemietet. Die im Saal I der alten Schule noch wohnenden evakuierten Buchenländerfamilien wurden in der frei gewordene Lehrerdienstwohnung der Familie Winter untergebracht im früheren Schulhaus Marktplatz 28. Aber auch dieser nun freigewordene Saal wurde mit Mannschaften der Besatzungstruppe belegt. Zur Unterbringung der Mannschaften mußte die Gemeinde Marpingen, Urexweiler und Alsweiler insgesamt 150 Betten abstellen. ...
Wohnungserfassung:
Um die aus dem Reich zurückkehrenden Evakuierten aus Saarbrücken alle unterzubringen, mußte eine Verteilung der Leute auf die Landgemeinden erfolgen. Der Kreis St. Wendel soll 1.000 Menschen aufnehmen. Auf Grund einer Verfügung des Landrates vom 22.8.45 musste eine Erfassung der Raumverhältnisse in den Häusern durchgeführt werden. Diese listenmäßige Erfassung wurde am 5.9.45 durch die anwesenden Lehrpersonen ... durchgeführt.“
Soweit die Schulchronik aus Marpingen. Nach dem Ende des Nationalsozialismus findet man in ihr kein Wort des Bedauerns oder der Kritik über das Geschehene. Die Schreiber oder Schreiberinnen der Chronik tun so, als wäre nichts Besonderes geschehen und alles „normal“ gewesen.
Entnommen aus:
Schulchronik von Marpingen, Band 1, „Aus dem Dorfleben“ , Archiv Grundschule Marpingen
Schulchronik von Marpingen, Band 1, „Aus dem Leben der Schule“ , Archiv Grundschule Marpingen