In der Kreisstadt St. Wendel und in vielen anderen Orten des Landkreises gab es bis 1935 ein blühendes jüdisches Leben. Davon ist heute nichts mehr zu sehen. Die meisten St. Wendeler Juden konnten noch rechtzeitig vor Deportation und Ermordung flüchten, aber mindestens 34 von ihnen verloren im Zuge der Shoa ihr Leben, nur weil sie Juden waren. Durch die Verlegung von „Stolpersteinen" vor 4 Anwesen in der Kreisstadt wurde in einer ersten Aktion an 11 ermordete jüdische St. Wendeler Bürger(innen) gedacht. Insgesamt sind von 21 ermordeten jüdischen St. Wendelern die letzten Wohnorte in der Kreisstadt bekannt. 1933 lebten 136 jüdische Bürger(innen) in St. Wendel.
Das europaweite Kunstprojekt „Stolpersteine" des Kölner Künstlers Gunter Demnig hält die Erinnerung an Vertreibung und Ermordung der Juden, der Sinti und Roma, der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zeugen Jehovas und der Euthanasieopfer im Nationalsozialismus lebendig. Indem der Künstler im Bürgersteig vor den letzten frei gewählten Wohnorten der Opfer 10 x 10 cm große Gedenksteine aus Messing mit den Namen und den persönlichen Daten der Getöteten einbringt, bewahrt er diese Menschen vor dem Vergessen. Die Passant(inn)en sollen im Geiste darüber stolpern.
Die Aktion in der Kreisstadt St. Wendel wurde auf Initiative unseres Vereins „Wider das Vergessen und gegen Rassismus", Marpingen, in Zusammenarbeit mit dem Landkreis St. Wendel ins Leben gerufen. In der Bürgerinitiative, die sich gründete, arbeiteten neben vielen engagierten Kreisbürger(innen) auch das Adolf-Bender-Zentrum, die Evangelische Kirchengemeinde und die politischen Parteien mit. Für Stadt und Landkreis fielen dabei keinerlei Kosten an, da die „Stolpersteine" durch Spenden und Patenschaften finanziert wurden. Die Kreisstadt übernahm kostenlos die Vorbereitung der Verlegung.
Durch die Verlegung dieser Steine wird die Erinnerung an die ermordeten Menschen und ihr Schicksal wachgehalten.
Stolpersteine – direkt vor der Haustür
„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist", sagt Gunter Demnig. Mit den „Stolpersteinen" wird die Erinnerung an die Menschen, die einst dort wohnten, lebendig gehalten.
Vor 4 Anwesen wurde durch das Einlassen der kleinen Mahnmale in den Bürgersteig an zunächst 11 ermordete jüdische St. Wendeler Bürger(innen) erinnert. Man findet sie vor den u.a. angegebenen Adressen.
- Schloßstraße 6/8, ein Stein für Erna Berl
- Gymnasialstraße 7, drei Steine für Max, Marianne und Norma Heymann
- Balduinstraße 41, drei Steine für Eduard, Alice und Ilse Reinheimer
- Hospitalstraße 13, vier Steine für Babetta, Frieda, Auguste und Lina Reinheimer
Schlosstrasse 6/8
Erna Berl und ihr Ehemann Eugen betrieben in der Schlossstraße 6 ein Textilgeschäft. Eugen Berl wurde als Haushaltsvorstand im Frühjahr 1936 wegen Vergehens gegen das Blutschutzgesetz angeklagt. Allerdings verstarb er am 01. August 1936 vor der Urteilsverkündung in der Hauptverhandlung. An seiner Stelle verurteilte man seine Ehefrau Erna, weil sie „vorsätzlich weibliche Staatsangehörige deutschen Blutes unter 45 Jahren" beschäftigt hatte, zu einer Geldstrafe von 30 RM, ersatzweise 3 Tage Gefängnis. In der Revision stellte man zwar fest, dass Erna Berl nicht hätte verurteilt werden dürfen, aber es bestünde die Möglichkeit, sie wegen Beihilfe zu bestrafen, was das Revisionsgericht in Saarlouis auch tat. Erna Berl wurde am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert und von dort mit 1000 weiteren jüdischen Menschen am 06. August 1942 ins Durchgangslager Drancy in Paris. Von hier wurde sie mit Transport Nr. 17 am 10.08.1942 nach Auschwitz verbracht, wo sie wahrscheinlich am 12. August vergast wurde.
Gymnasialstraße 7
Max Heymann betrieb in der Bahnhofstraße 10 ein Friseurgeschäft. 1935, nach der Saarabstimmung, flüchtete die Familie ins damals noch sichere Holland. Als die deutsche Wehrmacht am 10. Mai 1940 die Niederlande überfiel, saßen sie in der Falle. 1943 wurden sie über das Durchgangslager Westerbork nach Auschwitz deportiert und ermordet. Marianne war gerade einmal 10 Jahre alt.
Balduinstraße 41
Hier wohnte zuletzt die Familie Eduard, Alice und Ilse Reinheimer. Eduard betrieb mit dem Kaufmann Ludwig Mendel zusammen die Fa. Reinheimer und Mendel, Manufakturwaren und Herrenkonfektion, in der Schlosstrasse 2. Sie wurden zusammen mit Erna Berl am 22. Oktober 1940 in der „Wagner-Bürckel-Aktion" nach Gurs in Südfrankreich deportiert. Am 11. September 1942 wurden sie mit Transport Nr. 31 von Drancy in Paris nach Auschwitz verbracht, wo alle drei ermordet wurden.
Hospitalstraße 13
Auguste, Babetta, Lina und Frieda waren Schwestern von Eduard Reinheimer. Sie flüchteten schon 1935 ins damals noch freie Holland. Dort wurden sie wahrscheinlich im Durchgangslager Westerbork interniert und 1943 nach Auschwitz deportiert. Lina arbeitete von 1921 bis 1935 bei der Firma Franz Bruch als Einkäuferin.
Alle diese Menschen, an die nun durch die „Stolpersteine" erinnert wird, waren gut integrierte St. Wendeler Bürger(innen). Sie lebten inmitten ihrer christlichen Nachbarn und trugen ihren Teil zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wohlergehen der Stadt bei. Sie starben einen gewaltsamen Tod, nur aus einem Grund: weil sie Juden waren. Die Verlegung der „Stolpersteine" soll mit dazu beitragen, dass diese Verbrechen, die in deutschem Namen geschahen, nicht verharmlost, vergessen oder gar geleugnet werden.
Am 19. November 2012, 10.30 Uhr wurden in St. Wendel weitere Stolpersteine verlegt.