Johann Adam Huber - wie ein Dorf an seinem Mitbürger verdient
Johann Adam Huber, so ist im Urexweiler Heimatbuch von 1987 auf Seite 37 zu lesen, war ein „tragischer Fall". Wörtlich schreiben die Autoren dort:
„Ein anderer Huber, Johann Adam, Junggeselle, genannt „Adei", am 20. April 1878 geboren, galt als lustiger, intelligenter und als skurriller Mitbürger, als Kaufmann, der Kontakte zu vielen Persönlichkeiten bis nach Frankfurt, Köln und Berlin hatte. Sein Haus auf dem „Knopp" war voll der selsamsten Waren, von Kleidern aller Modearten bis zu Spielzeugen und Feuerwerkskörpern. Adeis „Geschäftsgebaren" galt damals schon als sehr modern: Wer beispielsweise einen Mantelknopf kaufen wollte, musstest dafür unter Umständen fünf Mark bezahlen. Nahm er aber ein Dutzend davon, so erhielt er sie für weniger als 50 Pfennig. Über den Adei heute zu reden, ist wie ein Stück Vergangenheitsbewältigung: Johann Adam Huber ist der einzige Urexweiler Bürger, der in einem KZ verstarb, in Oranienburg. Er war ein Gegner des Hitlerregimes. Während des Krieges wurde er zunächst in Köln verhaftet, als er dort gegen die Schließung eines Ordensklosters mitdemonstrierte. Da kam er bald wieder frei. 1943 folgte die zweite Verhaftung, zu Hause. Von einem Gericht in Köln wurde er - wohl weil er zu laut geredet hatte - als „Volksfeind" zu Straflager verurteilt. Sein letzter Brief aus Oranienburg stammt vom 13. Februar 1945. Im März des gleichen Jahres sei das Lager, so berichtete später ein Mitgefangener aus Nalbach, aufgelöst worden. In dem allgemeinen „Rette-sich-wer-kann-Tumult" sei Johann Adam Huber wohl umgekommen. Da er keine direkten Angehörige hatte, wurden nach dem Krieg keine exakten Recherchen angestellt."
Soweit das, was die Urexweiler Heimatforschung über Johann Adam Huber herausgefunden und veröffentlicht hat, was aber ziemlich lückenhaft und ungenau ist. Im St. Wendeler Stadtarchiv finden sich noch weit mehr Informationen, als das, was das offizielle Urexweiler über ihn bekannt gab.
Johann Adam Huber wohnte in Urexweiler in der „Horst-Wessel-Straße 22". Er war, so kann man es aus den vorliegenden Quellen ohne weiteres herauslesen, ein für die damalige Zeit ungewöhnlicher Mensch, ein Individualist und Kosmopolit, der sich der Mehrheit nicht unterordnete, der aber auch für niemanden eine Gefahr war und niemanden beeinträchtigte. Wie das heute auch noch ist, werden solche Menschen von ihrer Umgebung argwöhnisch beobachtet und als Fremdkörper in der dörflichen Gemeinschaft schnell isoliert und ausgestoßen. Im Nationalsozialismus wurden solche Menschen zu „Volksschädlingen" abgestempelt, die man dann ohne Gnade aus der „Volksgemeinschaft" aussondern konnte. So geschah es auch Johann Adam Huber. Er passte nicht in diese Zeit und war auch nicht, wie die meisten seiner Zeitgenossen, gewillt, sich anzupassen und an dem verbrecherischen Treiben fast eines ganzen Volkes zu beteiligen. Zu seinem Unglück hatte er, wie er es selbst bezeichnete, „homosexuelle Neigungen", was ja noch bis weit in die deutschen Nachkriegsjahre ein Verbrechen war und nach dem Paragraphen 175 des StGB bestraft wurde.
Von den Behörden wurde er als „Trödelhändler" bezeichnet, der am 27.11.1912 seinen Gewerbebetrieb angemeldet hatte. Der Gegenstand seines Gewerbes war „Bücherverkauf, fertige Herren- und Knabenanzüge, Arbeiterkleider, Stoffe, Leinen- und Kurzwaren sowie Uhren". Seinen Laden hatte er in der damaligen 2Horst-Wessel-Straße", der heutigen Knoppstraße. In der Nacht von Sonntag auf Montag vom 15. auf den 16. Oktober 1933 wurde in sei Haus eingebrochen. Es wurden 13 Anzüge, 50 Uhren und 250 Frs. gestohlen . Dreimal war er vorbestraft wegen „gleichgeschlechtlichen Verkehrs" und hatte insgesamt 13 Monate dafür im Gefängnis verbracht, 1926 und 1927 wurde er zweimal wegen Zigarettenschmuggels und einmal wegen „unkonzessioniertem Handel mit Branntwein" zu Geldstrafen verurteilt. 1935 musste er 3 Monate wegen Hehlerei absitzen und Ende desselben Jahres wurde er angezeigt, weil er für katholische Ordensschwestern öffentlich Partei ergriffen hatte. Wegen Verleitung zum Meineid wurde er in diesem Prozess zu 1 Jahr und 6 Monate Zuchthaus verurteilt, die er absitzen musste. Am 26. Februar 1940 wurde er wiederum verhaftet, weil man ihn wegen „staatsfeindlichen Verhaltens" angezeigt hatte. Er wurde nach Ottweiler ins Gefängnis verbracht und nachdem er dort schon drei Wochen gesessen hatte wurde er am 16. März 1940 von den beiden Kriminaloberassistenten Luczka und Harms der Geheimen Staatspolizei vernommen.
Folgendes wurde von ihm zu Protokoll gegeben:
„Ich bin als Sohn des Landwirts Johann Huber und als Jüngster von 3 Geschwistern in Urexweiler geboren, bin im Elternhause erzogen worden und habe die kath. Volksschule in Urexweiler besucht. Meine Eltern und auch meine Geschwister haben einen guten Ruf und sind bisher nicht bestraft worden. Sie haben sich auch sonst nichts zu Schulden kommen lassen. Geisteskrankheiten sind bei uns in der Familie noch nicht vorgekommen. Mein Vater war selbständiger Landwirt. Er ist im Alter von 76 Jahren gestorben. Meine Mutter wurde ebenfalls 76 Jahre alt. Nach meiner Schulentlassung blieb ich bei den Eltern zu Hause und half mit in der Landwirtschaft. Einen Beruf habe ich nicht erlernt. Ich blieb bis zur Vollendung meines 33. Lebensjahres im elterlichen Hause. Von 1900 bis 1902 habe ich meiner aktiven Dienstpflicht beim Inf.Reg. 30 in Saarlautern genügt. Ich ging als überzähliger Gefreiter ab. Im Januar 1915 wurde ich beim Landsturmbatl. in Saargemünd eingezogen. Ich hatte mir inzwischen einen Leistenbruch zugezogen und war infolgedessen vorläufig nicht kriegsverwendungsfähig. Anfang 1917 kam ich dann aber doch an die Ostfront, wurde aber bald wieder zurückgeschickt. Im Frühjahr 1917 wurde ich wegen meines Leistenbruchs aus dem Heeresdienst entlassen. Orden und Ehrenzeichen habe ich nicht erworben. Ich bin während des Krieges auch nicht mehr befördert worden. Nach meiner Entlassung aus dem Heeresdienst nahm ich wieder in Urexweiler Wohnung. In den ersten Monaten nach meiner Entlassung bezog ich eine Kriegsbeschädigtenrente. Im Jahre 1911 hatte ich mir im elterlichen Hause einen Kleiderhandel eingerichtet. Nebenbei war ich aber noch in der Landwirtschaft meines Vaters tätig. Ich war auch vor dem Kriege schon viel gereist, u.a. war ich in fast allen Städten Deutschlands und ausserdem in Belgien, Holland, Frankreich, in der Schweiz und in Italien. Ich war auch im Vatikan. Ich reiste damals zu meinem Vergnügen. Auf meinen Reisen hatte ich feststellen können, dass man in fast allen Städten bei der Versteigerung von Fundgegenständen, aufgebrauchten Kleidern usw. sehr billig einkauft. Das brachte mich auf den Gedanken, in Urexweiler einen Handel mit gebrauchten Kleidern anzufangen. Ich meldete dann mein Gewerbe beim Bürgermeisteramt Alsweiler an. In der Folgezeit habe ich dann regelmässig Auktionen besucht und dort gebrauchte aber auch neue Kleider und Kurzwaren zum Wiederverkauf aufgekauft. Ich unterhalte keinen Laden, sondern habe mir im elterlichen Hause, das inzwischen auf meinen Namen überschrieben wurde, in einer Wohnung eine Verkaufsstelle eingerichtet. Da ich die Waren auf den Auktionen und Versteigerungen immer billig einkaufte, konnte ich auch zu Schleuderpreisen verkaufen. Meine Kundschaft rekrutierte sich aus der Landbevölkerung von Urexweiler und den Nachbardörfern. Ich handele nicht nur mit gebrauchten Kleidern, sondern darüber hinaus auch noch mit neuen und gebrauchten Uhren, billigem Schmuck, Stöcken, Schirmen und bis vor kurzem auch mit antiquarischen Büchern. Mein Umsatz beläuft sich auf 2.000,-- bis 2.500,-- RM pro Jahr. Mein Einkommen beträgt 100,-- bis 150,-- RM pro Monat. Ich bin im Besitze einer Netzfahrkarte für die Rheinprovinz (Netz 12). Im allgemeinen halte ich mich nur wenig zuhause auf. In letzter Zeit war ich etwa 25 Tage jeden Monats unterwegs. Ich besuchte während der Zeit Versteigerungen und Auktionen. Meine Geschäftsreisen beschränken sich jetzt auf das Gebiet der Rheinprovinz. Seit 1935 bin ich nicht mehr im Auslande gewesen. Ich habe ein einfaches stehendes Gewerbe angemeldet. Das ist bereits im Jahre 1911 geschehen. Eine weitere Anmeldung ist nicht erfolgt. Mein Gewerbe ist nicht als Trödelhandel angemeldet, ich werde infolgedessen, obwohl ich fast ausschließlich mit gebrauchten Kleidern und Gegenständen handele, auch nicht als Trödelhändler geführt. Von Februar 1935 bis Juli 1937 hat mein Geschäft geruht. Ich verbüsste damals eine 18-monatige Zuchthausstrafe. Nach meiner Entlassung aus dem Zuchthaus habe ich mein Geschäft wieder aufgemacht, ohne es vorher noch einmal anzumelden. Bisher ist mir mein Gewerbe noch nicht verboten worden. Seit Ende 1938 stehe ich mit Juden in Geschäftsverbindung. Zuerst handelte ich mit dem Juden Blumenthal in Köln, Makkabäerstraße. Dieser Jude musste sein Geschäft aufgeben und verkaufte aus diesem Grunde seinen Restbestand an gebrauchten Kleidern. Ich kaufte einen größeren Posten für 200,-- RM. Im Frühjahr 1939 setzte ich mich mit dem Juden Max Stern in Köln, Sternengasse, in Verbindung. Stern unterhielt ein Partie-waren-en-gros-Geschäft. Er musste seinen Laden schliessen. Von Stern habe ich eine größere Menge von Kurzwaren, Kleidern, Handschuhen usw. gekauft. Die letzten Waren erhielt ich vor etwa vierzehn Tagen. Ich war damals noch bei Stern in Köln und holte die Waren dort selbst ab. Insgesamt kaufte ich im Lauf des letzten Jahres für 1.200,-- bis 1.500,-- RM Waren.
Mit weiteren Juden stehe ich nicht in Geschäftsverbindung. Stern hat inzwischen auch seine letzten Waren verkauft. Den Rest bekam ich. Ich muss erklären, dass ich bei Stern noch eine kleine Partie von Kurzwaren stehen habe. Ich bin Stern aus diesem Handel noch etwa 160,-- RM schuldig.
Ich bin im Besitze eines Wohnhauses mit 15 Morgen Land. Dieser Besitz, es handelt sich um den Nachlass meiner Eltern, ist auf meinen Namen eingetragen. Das ganze Anwesen hat einen Wert von rund 10.000,-- RM. Ich habe meine Geschwister aber noch nicht (ab)gefunden. Ich müsste ihnen von Rechts wegen noch je 2.000,-- RM auszahlen, das haben sie aber bisher noch nicht von mir verlangt. Meinen Warenbestand, der in meinem Wohnhause in Urexweiler lag, schätze ich auf einen Wert von 3.000,-- bis 4.000,-- RM, genau kann man das aber nicht sagen, weil die Preise für gebrauchte Kleider grossen Schwankungen unterliegen. An Bargeld habe ich etwa 500,-- RM. Über Bankguthaben verfüge ich nicht. Ich habe mir vor kurzem bei einem bekannten Bauern in Urexweiler etwa 600,-- RM geliehen. Dieses Geld habe ich noch nicht zurückgezahlt.
Ich habe eine Wohnung meines Hauses vermietet. Der Mietzins beträgt 12,-- RM pro Monat. Dieses Geld führe ich aber regelmässig an meine Schwester ab.
Mein Bruder, Jakob Huber, ist Landwirt und Stellmacher. Er hat in Urexweiler ein eigenes Anwesen. Seine Stellmacherei befindet sich in meinem Hause. Mein Bruder ist verheiratet. Er hat 13 Kinder. Meine Schwester, Elise, ist mit dem Bäcker und Landwirt Peter Brehm in Urexweiler verheiratet. Sie hat 2 Kinder.
Ich habe bisher keiner politischen Organisation angehört. Ich war wohl immer ein guter Katholik, gehörte aber dem Zentrum nicht an. Ich habe mich überhaupt nicht auf eine bestimmte Partei festgelegt. Während des Saarabstimmungskampfes war ich Mitglied der Deutschen Front. Nach der Rückgliederung bin ich keiner Organisation mehr beigetreten. Ich muss mich berichtigen. Ich bin Mitglied der Deutschen Arbeitsfront, versehe aber in dieser Organisation keine Ämter.
Mit den Kommunisten oder Marxisten hatte ich nie etwas zu tun. Ich hatte früher homosexuelle Neigungen und bin mehrfach, insgesamt dreimal wegen gleichgeschlechtlichen Verkehrs vorbestraft. Die letzte Strafe wegen dieser Delikte, 13 Monate Gefängnis, habe ich am 25.9.33 verbüsst. Seit der Zeit habe ich mir in dieser Hinsicht nichts mehr zu Schulden kommen lassen. Dann bin ich im Jahre 1925 wegen Beleidigung mit 2 Monaten Gefängnis bestraft worden. Man legte mir damals zur Last, dass ich einen Gendarmeriebeamten beleidigt hätte. Der Beamte hatte damals mein Geschäft revidiert. Im Jahre 1926 wurde ich wegen Übertretung der Gewerbeordnung - unkonzessionierter Handel mit Brantwein - mit 200,-- Franken Geldstrafe bezw. 20 Tagen Haft bestraft. In den Jahren 1926/27 bin ich zweimal wegen Schmuggelns bestraft worden. Ich hatte damals unverzollte Zigaretten vom Saargebiet nach Frankreich eingeführt. Die gegen mich ergangenen Gefängnisstrafen habe ich nicht verbüsst. Die Geldstrafe musste ich aber zahlen. Im Jahre 1935 wurde ich wegen Hehlerei mit 3 Monaten Gefängnis bestraft. Ich hatte damals für meinen Gewerbebetrieb gebrauchte Kleider gekauft, die aus einem Diebstahl herrührten. Im Jahre 1935 wurde ich wegen Heimtückevergehens zur Anzeige gebracht. Ich hatte damals Aeusserungen getan, die sich gegen die damals gegen kath. Ordensschwestern durchgeführten Devisenschieberprozesse richteten. Ich wurde freigesprochen, bin aber nach Abschluß dieses Verfahrens wegen Verleitung zum Meineid zu 1 Jahr und 6 Monaten Zuchthaus verurteilt worden. Weitere Vorstrafen habe ich nicht. Die letzte Strafe habe ich am 30.7.1937 verbüsst. Im Jahre 1938 war noch ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Hehlerei gegen mich anhängig. Ich wurde damals dem Gericht vorgeführt. Haftbefehl wurde nicht erlassen. Ich bin auch nicht bestraft worden.
Wenn ich auf Geschäftsreisen bin, übernachte ich meistens in kath. Gesellenhäusern. Mitunter habe ich auch in Klöstern übernachtet."
Soweit das Protokoll der Vernehmung Johann Adam Hubers im Ottweiler Gefängnis vom 16. März 1940.
Die Gestapo ließ seine Aussagen beim Landrat des Kreises St. Wendel überprüfen und fragte an, ob er im Besitze eines ordnungsgemäßen Gewerbescheines sei und ob ihm angesichts der Vorstrafen sein Gewerbe schon früher einmal verboten worden sei. Mit Schreiben vom 16. April 1940 bestätigte das Landratsamt die Aussagen von Huber, aber auch, dass seine Gewerbetätigkeit rechtmäßig war, da die Vorstrafen nicht im Zusammenhang mit der Ausübung seines Gewerbebetriebes entstanden seien. Allerdings würde der Landrat Huber, „sobald er aus der gegenwärtigen Haft entlassen" würde, „zur Einstellung des Gewerbebetriebes auffordern." Zur Beschlagnahme des Warenbestandes bestünde allerdings keine gesetzliche Möglichkeit.
Zweimal im Abstand von etwa 14 Tagen, am 25. April und am 09. Mai, fragte die Ortspolizeibehörde der Bürgermeisterei Alsweiler nun beim Gendarmerie-Gruppenposten Urexweiler an, ob Johann Adam Huber entlassen worden sei, um ihm den Gewerbebetrieb zu untersagen. Am 18. Juni 1940 benachrichtigte dann der Gendarmeriemeister Becker aus Urexweiler die Ortspolizeibehörde, dass „der Händler Johann Adam Huber aus Urexweiler ... seit dem 16. April 1940 flüchtig" sei und „bis heute der Aufenthalt noch nicht ermittelt" sei.
Johann Adam Huber war es doch tatsächlich gelungen, am 16. April 1940 aus dem Ottweiler Gestapogefängnis zu entkommen und unterzutauchen. Und der Behörde und der Geheimen Staatspolizei gelang es auch bis zum Dezember 1941 nicht, seinen Aufenthalt trotz Fahndung zu ermitteln.
Johann Adam Huber war weg, was sollte jetzt mit seinen Waren geschehen? Diese Frage bewegte die Behörde nun Ende Januar 1941. Am 24. Januar 1941, so geht aus einer Aktennotiz hervor, wurde festgesetzt, dass am Montag, dem 27.,„in dem Geschäft Huber durch die Gendarmerie Beamten Wolf, Remmesweiler, und Rebholz, Marpingen, eine Bestandsaufnahme sämtlicher Kleidungsstücke" erfolgen sollte. Dann sollte zwei Tage später, mittwochs, dem 29., unter „Zuziehung des Kaufmanns Weirich, Oberthal," die Abschätzung dieser Waren erfolgen.
Dies geschah und mit Datum vom 04. Februar 1941 ersuchte das Bürgermeisteramt Alsweiler in einem Schreiben an die Geheime Staatspolizei Saarbrücken um Genehmigung für die Auflösung des Lagers:
„Der Vorgenannte wurde bekanntlich am 26.2.1940 festgenommen. Eine nunmehr in seinem Hause vorgenommene Bestandsaufnahme, hat ergeben, daß sich dortselbst noch eine ganze Menge gebrauchter Anzüge, Kurzwaren und dergl. mehr befinden. Es besteht die Gefahr, daß diese Sachen durch Motten zerfressen und dadurch der Allemeinheit verloren gehen, zumal Huber ledig und niemand da ist, der die Sachen in Ordnung hält. Schäden durch Mottenfraß und Verstaubung sind schon vorhanden. Es ist nun beabsichtigt im Einvernehmen mit dem Wirtschaftsamt, das Lager zu räumen und die vorhandenen Waren öffentlich zu versteigern und sie dadurch der Wirtschaft zuzuführen. Ich bitte um baldgefl. Nachricht, ob dortseits Bedenken hiergegen bestehen."
Auf eine schriftliche Antwort der Gestapo wollte man in Urexweiler nicht warten und fragte schon vorab telefonisch nach. Darüber wurde am 07. Februar 1941 folgende Aktennotiz angefertigt:
„Nach telef. Rücksprache mit Krim. Oberass. Harms von der Staatspolizeistelle - Saarbrücken, bestehen gegen den Verkauf bzw. die Versteigerung der auf dem Lager des Huber befindlichen Gegenstände keine Bedenken. Evtl. sollen auch die Möbel zusammengestellt oder bei den Geschwistern abgestellt werden. Die freiwerdende Wohnung könne alsdann einer Familie aus Urexweiler zur Verfügung gestellt werden. Das Anwesen des Huber käme dann allerdings unter Zwangsverwaltung. Huber ist flüchtig, der Aufenthalt desselben ist unbekannt und liese sich bisher nicht ermitteln, es steht auch nicht fest, ob derselbe jemals ermittelt werden kann. Die ins Auge gefassten Massnahmen sind deshalb angebracht, damit nicht Gegenstände des täglichen Bedarfs dem Volksvermögen und der Allgemeinheit verloren gehen. Der Erlös muss für Huber sichergestellt werden, da keine Handhabe besteht, das Vermögen des H. einzuziehen. Ueber den gesamten Vorgang ist eine protokollarische Niederschrift anzufertigen und den Akten beizufügen. Ausserdem ist ein genaues Verzeichnis der vorhandenen Waren anzulegen in welchem auch der erzielte Erlös einzutragen ist. Ein schriftlicher Bescheid auf die Anfrage an die Gestapo erfolgt nicht mehr."
Am 26. Februar 1941 ging dennoch die Genehmigung der Gestapo Saarbrücken bei der Ortspolizeibehörde der Bürgermeisterei Alsweiler ein, zwei Tage vorher, am Montag, dem 24. Februar, hatte aber schon die Versteigerung der Waren von Johann Adam Huber im Saal der Wirtschaft Fuchs begonnen. Diese war mit Handzetteln und durch die Ortsschelle in Urexweiler und in den Nachbardörfern bekannt gemacht worden und wurde, wie von der Gestapo gewünscht, auf drei Listen minutiös protokolliert. Sie sollte die ganze Woche dauern.
Auf der ersten Liste wurde der genaue Bestand der Waren von Huber aufgeschrieben, auf der zweiten Liste wurde auf insgesamt 20 Seiten der Erlös festgehalten, wobei jeder Gegenstand einzeln mit seinem Versteigerungsergebnis aufgeführt wurde, und auf der dritten Liste wurden die entstandenen Ausgaben und welche Personen entschädigt wurden niedergeschrieben.
Liste 1 - Bestandsaufnahme:
Insgesamt kamen zur Versteigerung:
64 Gehröcke, 24 Smokings, 20 Fracks, 30 Anzüge, (unbekannte Zahl) Kinderanzüge, 16 Einzelhosen, 53 Mäntel, 12 Gummimäntel, 4 Winterjoppen, 6 Joppen, 3 Röcke (Herren), 32 Unterjacken, 10 Kinderpullover, 9 Westen, 100 Westen (farbig), 8 Unterwämse, 14 Paar Damenstrümpfe, 16 Paar Herrensocken, 15 Paar alte Schuhe, 5 m Handtuchstoff und 2 Stück Anzugstoff.
Liste 2 - Versteigerungserlöse:
Kopie der Seite 1 der Liste der Versteigerungserlöse des Lagers von J.A.Huber, (Quelle: "Marpingen und der Kreis St. Wendel unter dem Hakenkreuz")
Diese Liste umfasste 20 Seiten, worauf jeder Gegenstand, der versteigert wurde, mit seinem Erlös aufgeführt wurde. Die erzielten Preise waren wahrscheinlich je nach Nachfrage ganz unterschiedlich. So mussten die Bieter für einen kompletten Gehrock etwa 10,00 RM hinblättern und für einen Gehrock ohne Hose 5,50 RM. Für den einen Mantel musste man 8,00 RM hinblättern, für einen andern 10,50 RM.
Liste 3 - Zusammenstellung der Ausgaben:
Auf dieser Liste wurden alle angefallenen Ausgaben zusammengestellt und jeweils mit Belegen nachgewiesen. Insgesamt wurden aufgrund von 16 Belegen (2 Belege fehlen) 371,89 RM an Personen, die mithalfen die Versteigerung zu organisieren und durchzuführen, ausgezahlt und 69,20 RM erhielt die Gemeinde Urexweiler, die davon noch ausstehende Grund- und Kirchensteuer an das Amt Alsweiler nachzahlte. Zusammen wurden 440,09 RM vom Versteigerungserlös einbehalten.
Folgende Personen erhielten im Einzelnen ihre Aufwendungen ersetzt, wobei für die Stunde 0,60 RM gezahlt wurden:
- Johann Boullay, Urexweiler, wegen Mithilfe während der Versteigerung 35,00 RM
- Gendarmen Wolf und Rebholz, wegen Beaufsichtigung, Räumung und Verbringung der Ware 12,00 RM
- Jakob Recktenwald, Friehofstraße 7, wegen 16 Stunden für Versteigerung 9,60 RM
- Jakob Gard, Ortsbürgermeister von Urexweiler, wegen 7 volle Tage beschäftigt 56,00 RM
- Wirt Fuchs, Urexweiler, für Getränke und Inanspruchnahme des Saales für 5 Tage, Heizung, Reinigung 34,44 RM
- Hebler und Schulz (kein Beleg vorhanden) 26,00 RM
- Gemeindediener Hinsberger, Marpingen, für die Bekanntmachung der Versteigerung 2,50 RM
- Gemeindediener Jennewein, Remmesweiler, für die Bekanntmachung mit der Ortsschelle 2,50 RM
- Vollzugsbeamter Braun, für die Durchführung der Versteigerung 35,00 RM
- Jakob Kleemann, Urexweiler, für 49 Stunden geleistete Arbeit 29,40 RM
- Jakob Staub, Urexweiler, Entschädigung 2,00 RM
- Peter Groß, Urexweiler, für 16 Stunden geleistete Arbeit 9,60 RM
- Johann Nikolaus Groß, Urexweiler, für 66 Stunden geleistete Arbeit 39,60 RM
- Jakob Recktenwald, Urexweiler, für 66 Stunden geleistete Arbeit 39,60 RM
- Peter Josef Dörr, Urexweiler, für Fahrten zur Wirtschaft Fuchs 16,00 RM
- Theodor Pfad, Dentist, Rechnung für Zahnbehandlung vom November 1939 bis Januar 1940 10,00 RM
- Klein und Fuchs, Urexweiler (kein Beleg vorhanden) 10,00 RM
- Gruppenwasserversorgungsverband Alsweiler, Reparatur am Wassermesser, Rechnung 2,65 RM
- Grundsteuer der Jahre bis 1941 56,00 RM
- Kirchensteuer 1939/40 13,20 RM
Durch die einwöchige Versteigerung des Warenbestandes von Johann Adam Huber vom 24. Februar bis zum 01. März 1941 wurden nach Abzug der Kosten insgesamt 1.930,28 RM eingenommen. Diese Summe wurde von der Ortspolizeibehörde des Amtsbürgermeisters von Alsweiler bei der Gerichtskasse Neunkirchen, Zweigstelle St. Wendel, hinterlegt. Allerdings erst am 29 Juli 1941, also fünf Monate später. Als empfangsberechtigte Personen für das Geld waren einmal Johann Adam Huber selbst angegeben und zum Anderen sein Bruder Jakob Huber, Landwirt, Josef-Goebbels-Straße 14, „falls Huber sich selbst nicht mehr meldet". In dem Hinterlegungsnachweis wurde als wichtig markiert angeführt, dass „gegen Huber ein Verfahren bei der Staatspolizei wegen staatsfeindlichen Verhaltens" anhängig und dass er „flüchtig" sei. Vor einer Freigabe des Geldes und Auszahlung an ihn sollte die Gestapostelle in Saarbrücken informiert werden.
Aber Johann Adam Huber kam nicht, um sein Geld in Empfang zu nehmen. Was mit der Summe geschehen ist, konnte vom Autor nicht in Erfahrung gebracht werden. Johann Adam Huber jedenfalls konnte fast das ganze Jahr 1941 unerkannt im Untergrund leben - bis zum 08. Oktober. Da wurde er in Köln auf dem Hauptbahnhof aufgegiffen und verhaftet. Sieben Wochen später wurde ihm am 02. Dezember 1941 vor dem Kölner Sondergericht der Prozess gemacht. Über diese Gerichtsverhandlung liegt die Kopie eines Zeitungsausschnittes vor , aus der allerdings die Zeitung, in der der Artikel erschien, nicht ersichtlich ist. Der Bericht hatte die Überschrift „2 ½ Jahre Zuchthaus für einen Volksschädling - Große Anzahl Kleider- und Lebensmittelkarten im Besitz des Herumtreibers" und hatte folgenden Wortlaut:
„Köln, 2. Dezember.Das Kölner Sondergericht verhandelte gegen den dreiundsechzigjährigen Adam H. aus dem Saargebiet, der sich seit 17 Monaten unangemeldet hier herumgetrieben hatte und nach langem Suchen am 8. Oktober von der Kriminalpolizei auf dem Hauptbahnhof verhaftet werden konnte. Der Angeklagte war im Februar 1940 im Saargebiet wegen staatsfeindlicher Aeußerungen festgenommen worden, es war ihm aber gelungen, Anfang April aus der Haft zu entfliehen. Er hatte sich erst vier bis fünf Wochen in seiner Heimat versteckt gehalten, sich dann aber im Mai v. J. nach Köln gewandt, wo er leichter verschwinden zu können glaubte. Eine Zeit lang war ihm dies auch gelungen, indem er sich teils bei Bekannten, teils in Bahnhofshallen oder im Freien aufhielt und offenbar von allerlei dunklen Geschäften gelebt hat. Als er im Oktober gefaßt wurde, fand man bei ihm 624 Mark in Papiergeld und insgesamt 5 Kleider-, 3 Fett-, 5 Eierkarten und zahlreiche einzelne Fett-, Brot-, Margarine- und Buttermarken sowie Reisemarken. Über den Erwerb dieser Karten erzählte er die unglaublichsten Dinge. Teils habe er sie geschenkt bekommen, teils habe er sie von Leuten erhalten, denen er markenfreie Essen bezahlt hätte, denn bei seiner Flucht aus der Haft habe er noch über einen Barbetrag von 2.200 Mark verfügt, die er in seiner Weste versteckt gehabt hätte. Dann hätte er häufig auf Versteigerungen getragene Kleider gekauft und diese gegen Hergabe von Lebensmittelkarten und Kleiderkarten verkauft. Da er sich auf der Flucht befand und verborgen halten mußte, habe er sich nirgends polizeilich melden können, hätte daher auch keine Lebensmittelkarten erhalten und sich daher auf diese Weise helfen müssen.
Trotz eingehender Vorhaltungen des Vorsitzenden, daß ihm diesen Schwindel niemand glauben könne, blieb er hartnäckig bei seiner Darstellung. Er war offenbar der Auffassung, er habe sich nicht strafbar gemacht, weil er, wie er immer wieder betonte, für sich keinesfalls mehr gebraucht habe, als ihm an Lebensmitteln zugestanden habe. Daß er durch das Hamstern so großer Mengen Lebensmittelmarken, die ihm gar nicht zustanden, die Bedarfsdeckung der Allgemeinheit aufs schwerste gefährdete, wollte er nicht einsehen.
Das Sondergericht konnte ihm zwar nicht nachweisen, wie er in den Besitz der Lebensmittel- und Kleiderkarten gekommen war, fest stand aber, daß sie keinesfalls ehrlich erworben sein konnten. Bei zwei Kleiderkarten konnte festgestellt werden, daß sie den Eigentümern verloren gegangen waren. Es lag demnach der Verdacht nahe, daß die erheblichen Mengen von Karten und Marken aus Diebstählen oder sonstigen unerlaubten Handlungen herrührten. Jedenfalls sei der Angeklagte, so führte das Gericht aus, zumal er schon recht erheblich vorbestraft war, als Volksschädling anzusehen, denn wer sich in so erheblichem Umfang Lebensmittel- und Kleiderkarten unrechtmäßig verschafft, gefährdet im Kriege die Bedarfsdeckung ganz erheblich. Der Angeklagte sei daher wegen Verbrechens gegen die Kriegswirtschaftsverordnung und Verstoßes gegen die Verbrauchsregelungsstrafverordnung unter Anwendung des § 4 der Volksschädlingsverordnung zu bestrafen. Eine Zuchthausstrafe von2 ½ Jahren neben 5 Jahren Ehrverlust erschien dem Sondergericht als erforderliche Sühne. Außerdem rechnete es dem Angeklagten wegen seines hartnäckigen Leugnens die Untersuchungshaft auf die Strafe nicht an."
Dieses Urteil von 2 ½ Jahren Zuchthaus war zugleich das Todesurteil von „Adei" Huber aus Urexweiler. Nachdem er bis zum Sommer 1944 seine Strafe abgesessen hatte, wurde er, wie in so vielen Fällen, nicht frei gelassen, sondern der Gestapo überstellt und in ein Konzentrationslager verbracht. In welches KZ er eingeliefert wurde, kann mit Sicherheit nicht gesagt werden, da eine Anfrage im Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg nördlich von Berlin, negativ beschieden wurde. Das Urexweiler Heimatbuch nennt als das Konzentrationslager, in das man ihn einlieferte, Oranienburg. (Das KZ Sachsenhausen lag bei Oranienburg nördlich von Berlin.) Dort sei er „in dem allgemeinen ´Rette-sich-wer-kann-Tumult" umgekommen. Diese Formulierung ist natürlich äußerst verharmlosend, beinhaltet sie doch, dass sein Tod ein Unglück gewesen sei. Aber sein Tod war kein Unglück, sondern schlicht und einfach Mord.
Johann Adam Huber war einer, der sich gegen das Nazi-Regime öffentlich aufgelehnt hat und der deswegen und wahrscheinlich auch weil er homosexuell war und im KZ höchstwahrscheinlich den „rosa Wimpel" tragen musste, ermordet wurde. Es stünde der Gemeinde Marpingen gut an, wenn man ihn heute auf irgendeine angemessene Weise nachträglich noch ehren würde.