Ansprache 27. Januar 2010, gehalten am 30.01.2010 von Eberhard Wagner
Warum treffen wir uns heute hier? Nun schon zum 14. Mal?
Natürlich um uns zu erinnern und zu gedenken. Wir erinnern uns und gedenken heute an alle Menschen, die den nationalsozialistischen Verbrechen zum Opfer gefallen sind.
Wir gedenken aber nicht derer, die auf irgendeine Weise mit dazu beigetragen und mit geholfen haben, dass es in Deutschland zur Errichtung des nationalsozialistischen Verbrecherstaates gekommen ist. Auch viele von ihnen wurden leider ebenfalls betroffen an Leib und Leben. Aber sie zähle ich nicht zu den Opfern, an die wir heute gedenken. Der 27. Januar ist der Gedenktag für die eigentlichen Opfer. Heute denken wir an die Juden, an die Sinti und Roma, an die Homosexuellen, an Behinderte, Regimegegner(innen), Widerständler und viele andere Ermordete, die in Konzentrationslagern umgebracht wurden, ebenso an die Zwangsarbeiter(innen) und Deserteure.
Wir treffen uns aber heute auch, um mit dazu beizutragen, dass es in unserem Land, in den Kreisen und Gemeinden endlich eine andere und angemessene Gedenkkultur gibt. Im Kreis sind wir auf einen Weg eingebogen, von dem man einige Hoffnung erwarten kann. Ich möchte hier ausdrücklich den Landkreis erwähnen, der unsere schon bisher geleistete Arbeit stark honoriert und selbst Initiativen und Aktivitäten gesetzt hat und in Zukunft auch setzen will. Erstmals wurde meines Wissens am 9. November, dem Jahrestag der Pogromnacht, eine Sondersitzung im Kreistag abgehalten und auch in einer kleinen Gedenkstunde am ehemaligen Standort der Synagoge in St. Wendel vom Landrat ein Kranz niedergelegt. Das sind hoffnungsvolle Anzeichen, die hoffentlich fort geführt werden. Erwähnen möchte ich auch das Symposium, das der Kreis am 4. Dezember 2009 zum Thema „Jüdische Deutsche im Saarland" durchführte und an dem international bekannte hochkarätige Referenten teilnahmen. Und Landrat Udo Recktenwald hat mir signalisiert, dass diese Veranstaltungen keine einmaligen Geschehnisse gewesen sind. Wie ich ihn verstanden habe, ist es ihm ein großes Anliegen.
Der Nationale Gedenktag, den wir heute Zeit versetzt begehen, wurde als solcher 1996 vom ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog, dem höchsten Repräsentanten unserer Republik, eingerichtet. Nur wird er nicht so wahrgenommen, wie es sich gebühren müsste. Diese Nichtwahrnahme ist eigentlich eine Geringschätzung des Amtes des Bundespräsidenten und unseres Staatsoberhauptes. Nach wie vor wird in den Gemeinden der Volkstrauertag offiziell begangen, oft mit Feuerwehr und Musikvereinen. Nicht dass ich etwas dagegen einzuwenden hätte. Aber es gehört eben zu einer wahrhaftigen Gedenkkultur dazu, dass man auch der tatsächlichen Opfer der Verbrechen gedenkt, die in deutschem Namen geschahen.
Warum können sich die Gemeinden nicht dazu aufraffen, diesen Tag offiziell zu begehen? Schließlich ist es ein nationaler Gedenktag! Unser Verein führt die Gedenkfeier nun schon zum 14. Male durch. Wir haben das sogar in unserer Satzung als einer der Vereinszwecke stehen. Wir würden uns freuen, wenn die Gemeinde sich dazu entschließen könnte, mit uns zusammen diese Feier auszurichten. Das wäre auch in Marpingen ein erster Schritt in Richtung andere Gedenkkultur.
Der Januar ist ein geschichtsträchtiger Monat:
Am vergangenen Mittwoch jährte sich die Befreiung des KZ Auschwitz zum 65. Mal. Heute jährt sich die Machtübertragung an Hitler zum 77. Mal. Am 13. Januar vor 75 Jahren entschieden sich die damaligen Saargebietsbewohner, unsere Vorfahren, mit überwiegender Mehrheit für Hitler-Deutschland, um nicht zu sagen für Hitler. Und am 20 Januar vor 68 Jahren beschlossen hochrangige Beamte des Hitler-Staates auf der Wannsee-Konferenz in Berlin die europaweite Ausrottung der Juden. Die Beschlüsse dort führten für mehr als 6 Millionen Menschen unmittelbar in die Ermordung.
In Auschwitz wurden mehr als 1 Million Menschen systematisch ermordet. Es war sozusagen „Lagerzweck", die Arbeitsfähigen bis zum Tode auszubeuten und Kinder und Alte, überwiegend jüdische Menschen, aber auch Sinti und Roma, direkt ins Gas zu schicken.
In Auschwitz wurde auch, wie wir mittlerweile alle wissen, der Marpinger Sozialdemokrat Alois Kunz, vor dessen Erinnerungstafel wir hier stehen, ermordet. Auch seiner gedenken wir heute. Er bezahlte seine Gegnerschaft zum Hitlerregime mit dem Leben. Am 23. Oktober 1942 wurde er in Auschwitz ermordet.
Was verbindet uns heute noch mit Auschwitz?
Natürlich das Wort Auschwitz als Symbol für den Massenmord an den europäischen Juden. Wenn wir aber genauer hinschauen, finden wir auch Verbindungen bis in unsere Dörfer.
Am vergangenen Wochenende konnte man in einer überregionalen Berliner Zeitung über einen KZ-Aufseher von Auschwitz mit Namen Josef Schillinger lesen, geboren in Oberrimsingen bei Freiburg. Als in diesem Dorf vor 6 Jahren bekannt wurde, dass dieser SS-Oberscharführer zu den Wachmannschaften des KZ Auschwitz gehörte, wurde sein Ehrengrab auf dem Friedhof entfernt und sein Name wurde aus dem Kriegerdenkmal, das ebenso wie hier in Marpingen neben der Kirche steht, gefräst.
Auch in Marpingen haben wir einen solchen Fall.
Reinhold Schmidt.
Er war seit März 1933 Mitglied der Nazi-Partei, wurde am 01. April 1935 Mitglied der allgemeinen SS und beantragte zum 27. Januar 1941 seine Aufnahme in die Waffen-SS. Als Freiwilliger wurde er am 31. März 1941 zum Dienst im „SS-Totenkopf-Wachsturmbann" ins KZ Auschwitz versetzt. Er begann dort seinen Dienst zu der Zeit als das Stammlager ausgebaut und das Vernichtungslager Birkenau aufgebaut wurde. Er war in Auschwitz von Anfang an auf seiten der Täter dabei. Er arbeitete dort in der Kommandantur und hatte Einblick in viele Abläufe. Der Marpinger Reinhold Schmidt war zur gleichen Zeit im KZ Auschwitz, in der der Marpinger Alois Kunz dort ermordet wurde. Er gehörte zu den SS-Wachmannschaften und war dort Aufseher. Zeitweilig arbeitete er in der Häftlingsküche, wobei er die verbrecherischen Abläufe im Konzentrationslager direkt mitbekam. Er wird im Marpinger Ehrenbuch, das auch heute noch seine Gültigkeit hat, mit seinem vollen SS-Dienstgrad SS-Unterscharführer als Held geehrt. Das sollte eigentlich auch in Marpingen für Empörung sorgen.
Nach unserer Meinung ist es an der Zeit, dieses Ehrenbuch, das der Gemeinde nicht zur Ehre gereicht, aus dem Verkehr zu ziehen und für ungültig zu erklären. Was in Oberrimsingen bei Freiburg möglich war, sollte auch in Marpingen nicht unmöglich sein.
Am vergangenen Mittwoch, dem 27. Januar, - ich weiß nicht, ob dieser Termin extra so gewählt worden war – war ich in den Kulturausschuss der Gemeinde eingeladen. Auf der Tagesordnung im nicht-öffentlichen Teil stand : „Marpingen und der Kreis St. Wendel unter dem Hakenkreuz und Ehrenbuch der Gefallenen und Vermissten von Marpingen. Beratung und Beschlussempfehlung zur weiteren Aufarbeitung der Nazi-Zeit in der Gemeinde Marpingen".
Am 19. November hatte der Kulturausschuss zum ersten Mal über die Thematik beraten. Ebenfalls im nicht-öffentlichen Teil. In der Sitzung erteilte man mir das Wort und ich wies darauf hin, dass in dem "Ehrenbuch" neben 15 "normalen" NSDAP-Mitgliedern auch der Ortsgruppenleiter Hahn, der Alois Kunz denunziert hatte, und der KZ-Aufseher in Auschwitz SS-Unterscharführer Reinhold Schmitt als Helden geehrt würden.
Naiverweise dachte ich, dass man dort ähnlich entrüstet wäre, wie ich, wenn die GR-Mitglieder hören würden, dass ein Marpinger, der in Auschwitz KZ-Aufseher war, im „Ehrenbuch" als Held geehrt wird.
Aber weit gefehlt. Keine einzige Stimme erhob sich dort für mein Anliegen, das Buch zu annullieren und die Texte darin zu ändern. Im Gegenteil, diejenigen, die sich zu Wort meldeten, sahen keinen Handlungsbedarf und äußerten auch kein Bedauern über das "Ehrenbuch". Es schien mir, wie eine Wand aus Granit. Dennoch habe ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass die Gemeinde Marpingen, anders als 1995 hier schneller angemessen reagiert und das Ehrenbuch, wenigstens in der vorliegenden Form, für ungültig erklärt und es in neuer Formulierung heraus gibt.
Im Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen, die in deutschem Namen begangen wurden, legen wir nun heute diesen Kranz an der Erinnerungstafel an Alois Kunz nieder.