Ansprache zum 27. Januar 2015, gehalten am Sonntag, dem 25. Januar 2015, von Eberhard Wagner
Wir gedenken heute – hier in Marpingen zum 19. Mal - der Millionen Getöteten, die im faschistischen deutschen Rassenwahn ihr Leben lassen mussten. Sie waren unschuldig und wurden ermordet, weil sie Juden waren, weil sie Sinti oder Roma waren, weil sie homosexuell waren, weil sie behindert waren, weil sie Kriegsgefangene oder Zwangsarbeiter waren. Sie galten als Volksschädlinge und minderwertig. Sie wurden diskriminiert, schikaniert, verleumdet und eingesperrt. Sie wurden ermordet,
- durch Ausrottung durch Arbeit bis hin zum Tod,
- durch Verhungern lassen,
- durch pseudo-medizinische Experimente,
- durch Folter,
- durch Erschießen,
- durch Vergasen,
- durch Todesmärsche wenige Wochen vor Kriegsende.
Wir wollen heute aber auch an die Anschläge in Paris denken, wo „Irre“ ihr Verständnis von menschlichem Zusammenleben demonstriert haben und dazu eine Religion missbrauchten. Unter den Opfern waren aber auch 4 jüdische Franzosen, die nur deshalb ermordet wurden, weil sie Juden waren. Das sollte uns auch zu denken geben. Der Antisemitismus ist immer noch mitten unter uns und oft kommt er im Mäntelchen der Israelkritik daher.
Am kommenden Dienstag jährt sich zum 70. Mal der Tag der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee. Wir Deutsche hatten ja die slawischen Völker als „Untermenschen“ definiert und dann kamen diese „Untermenschen“ nach Auschwitz und sahen, was die „Herrenmenschen“ angerichtet hatten, ganz zu schweigen davon, dass Russland mit über 20 Millionen Kriegstoten mehr als 4 Mal soviele Toten zu beklagen hatte als der Verursacher der Katastrophe. Das sollten wir auch nicht aus dem Gedächtnis verlieren, wenn wir heute über Russland urteilen.
Fast genau 12 Jahre vor der Befreiung nahm das Unheil seinen konkreten Anfang. Damals wurde die zerbrechliche Demokratie mit Gewalt und Lügen aus den Angeln gehoben und als ungeeignet denunziert, die Probleme zu lösen. Von „Lügenpresse“ und „Systemparteien“ war die Rede. Und genau diese Vokabeln hören wir heute wieder von Leuten, die sich besorgt um das christliche Abendland zeigen. Es ist aber nun nicht so, dass diese Menschen, die von sich behaupten „Wir sind das Volk“, für Nächstenliebe, Barmherzigkeit und Brüderlichkeit auf die Straße gehen. Nein, sie marschieren für das genaue Gegenteil, für Hass, Ausgrenzung und Menschenverachtung. Sie missbrauchen die christlichen Werte, für deren Verteidigung sie angeblich auf die Straße gehen, für ihre Hetze und ihren Rassismus. Auch damals suchte man sich Sündenböcke, um auf sie alles Unglück aufzuladen. Nur wer per Definition der „Volksgemeinschaft“ nützte, hatte ein Recht auf Teilhabe und Leben.
Für mich kommt diese Entwicklung nicht überraschend. Stellt doch der Bielefelder Professor Heitmeyer und sein Team seit über 20 Jahren in den Untersuchungen zur „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ fest, dass die menschenfeindlichen Einstellungsmuster bis weit in die sogenannte Mitte der Gesellschaft reichen, bis zu 25% der Bevölkerung hätten diese Denkmuster. Hinter vielen Gardinen und oft auch an den Stammtischen herrschen Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Eselstreiber, Zigeuner und Neger sind da noch die harmlosesten Ausdrücke. Und diese Menschen outen sich jetzt und gehen auf die Straße. Gott sei Dank scheint unsere Politk das begriffen zu haben und kommt ihnen nicht entgegegen.
Alois Kunz, der Sozialdemokraten und Widerstandkämpfer aus Marpingen, vor dessen Erinnerungsstätte wir stehen, kam nach 3 Jahren KZ Sachsenhausen im August 1942 ins KZ Auschwitz und wurde am 23. Oktober 1942 dort ermordet. Er war einer der ganz wenigen in Marpingen, die gegen den Anschluss des damaligen Saargebietes an Hitler-Deutschland kämpfte. Er setzte sich mit aller Kraft gegen das drohende Unheil ein und versuchte die Menschen zur Stimmabgabe gegen Hitler zu bewegen. Vergebens.
Die meisten Marpinger von damals standen ja auf der anderen Seite und lehnten sich wie der Großteil unseres Volkes nicht gegen Hitler auf. Wobei 2 Marpinger sich besonders hervor taten, nämlch die beiden KZ-Aufseher in Auschwitz, Viktor Kirsch, der am 13. Dezember 1945 zum Tode verurteilt wurde und am 28. Mai 1946 hingerichtet wurde, und Reinhold Schmidt, der während der gesamten Zeit des Bestehens von Auschwitz als SS-Freiwilliger dort Dienst tat. Schmidt wird nach wie vor im Marpinger Ehrenbuch als Held geehrt und der Gemeinderat sah bisher immer noch keinen Grund, das Ehrenbuch zu korrigieren. Solange das nicht geschieht, wird unser Verein immer wieder darauf hinweisen.
Der Blick auf unsere unselige Vergangenheit ist auch heute 70 Jahre nach der Befreiung noch nicht frei von Verharmlosungen und Relativierungen und das geht quer durch alle Schichten und politische Richtungen.
In Völklingen schafft man es nicht, dem dortigen Ortsteil Bouser Höhe seinen angestammten Namen zurück zu geben, sondern benennt ihn nach wie vor nach einem strammen Nazi und verurteilten Kriegsvebrecher – Röchling.
Der langjährige saarländische Mnisterpräsident Franz Josef Röder war ein 33-PG, d.h. er trat in die NSDAP schon ein, bevor das damalige Saargebiet unter Nazi-Herrschaft kam. Pikanterweise ist die Straße am Saarländischen Landtag in Saarbrücken vorbei nach ihm benannt, und kein geringerer als der heutige Vorsitzende der Partei „Die Linke“ im Saarland, Oskar Lafontaine, hat als Oberbürgermeister von Saarbrücken diese Benennung angeordnet. Und in der Broschüre „Braune Spuren im Landtag“ stellte er 2013 Röder noch nachträglich einen Persilschein aus.
Auch das Nicht-Eingehen der Gemeinde auf unseren Antrag auf Errichtung einer Gedenktafel für die Marpinger Zwangsarbeiter(innen) muss man in diesem Zusammenhang erwähnen. Im April 2012 stimmte der Hauptausschuss einstimmig zu, eine Gedenkstätte für die 71 Marpinger Zwangsarbeiter(innen) zu errichten. Es sah so aus, als würde das Projekt ohne große Widerstände zu verwirklichen sein. Es wurde aber in der Gemeinderatssitzung vom 12. Dezember 2012 vom Ortsvorsteher von Alsweiler in Frage gestellt, und ein Mahnmal an die Marpinger Zwangsarbeiter(innen) in der Nähe des Hiwwelhauses in Alsweiler wurde abgelehnt. Seit der Zeit hat die Gemeinde offensichtlich wenig unternommen, um die Suche nach einem Standort voran zu treiben. Auch die Veranstaltung im März des letzten Jahres in Alsweiler hat nicht den erhofften Schub gebracht. Wir können uns nicht erklären, warum es nicht voran geht. Wem könnte die Wahrheit der Zwangsarbeiter in Marpingen nicht passen? Die Gemeinde könnte doch nur davon profitieren, wenn sie als erste Gemeinde im Saarland offiziell an ihre Zwangsarbeiter(innen) erinnert.
Wir begehen diesen Nationalen Gedenktag heute in Marpingen nun schon zum 19. Mal. Seit seiner Einsetzung legen wir hier einen Kranz nieder und erinnern an die Opfer der Nazi-Barbarei. In unserer Einladung schreiben wir immer, dass wir dazu beitragen wollen, den Nationalen Gedenktag in den Köpfen und Herzen der Bevölkerung ebenso zu etablieren wie in den Terminkalendern von Kreis und Gemeinden. Und es war immer unser Wunsch, dass eine zentrale Veranstaltung im Kreis durchgeführt wird. Landrat Udo Recktenwald hat nun erstmals zu einer zentralen Kreisgedenkstunde eingeladen. Am Dienstag, dem 27. Januar, findet sie statt. Um 19.00 Uhr in der Kulturscheune in Oberlinxweiler. Im Namen des Landrates und auch in unserem Namen bitte ich Sie alle, auch diese Gedenkstunde zu besuchen.
(Bericht der Saarbrücker Zeitung vom 27. Januar 2015)